[Rezension] Nicht tot zu sein, ist noch kein Leben

by - August 10, 2025

(© Unken)

Nicht tot zu sein, ist noch kein Leben*
von Lou Bihl

Bewertung: ★★★☆☆

Fiction, 272 Seiten
Erscheinungsdatum: 30. Mai 2025
Verlag: Unken 


*Digitales Rezensionsexemplar von Netgalley. Danke an den Unken Verlag.

Inhaltsangabe:
Seit dem Studium sind sie das „doppelte Lenchen“ und beste Freundinnen: Helena wird Ärztin und Palliativmedizinerin, Marlene Wissenschaftsjournalistin. Nach einer gescheiterten Ehe verliebt sich Marlene in den attraktiven Lektor Julian, dessen Charme auch Helena beinahe erliegt. Für Helena werden selbstbestimmtes Sterben und assistierter Suizid unverhofft zum persönlichen Thema, als Marlene auch ihre Patientin wird. Sie leidet unter einer besonders bösartigen Form von Brustkrebs, kurz nach der Erstbehandlung schwindet die Hoffnung auf Heilung. Die lebenslustige Marlene ist entschlossen, ihr Dasein und die Liebe bis zur Neige auszukosten. Doch sie bittet Helena, ihr als letzten Freundschaftsdienst einen assistierten Suizid zu Hause zu ermöglichen, falls der Krebs ihre Lebensqualität in unerträglichem Maße mindern sollte. Sie hatte dies schmerzlich bei ihrer Zwillingsschwester erlebt, die wegen einer unheilbaren Nervenerkrankung Sterbehilfe in der Schweiz suchte, da eine Suizid-Assistenz in Deutschland nach § 217 StGB strafbar ist. Diese Rechtslage stellt auch Helena vor ein Dilemma. Doch dann setzt das Bundesverfassungsgericht den Paragrafen außer Kraft... 

Meine Meinung:

Eigentlich frage ich fast keine Rezensionsexemplare mehr an, ausser es sind Hörbücher. Aber hier hat mich der Klappentext so neugierig gemacht, dass ich schwach geworden bin. Und genau das ist mir scheinbar zum Verhängnis geworden, denn der Klappentext schürt völlig falsche Erwartungen an die Geschichte, die sich letztendlich nicht erfüllen. 
 
Die Inhaltsgabe verspricht eigentlich eine Geschichte, bei der es um ein ethisches Dilemma gehen soll: Marlene wird an Krebs sterben und bittet ihre beste Freundin Helena, eine Ärztin, darum, ihr Sterbehilfe zu leisten. Etwas, das sie vor eine schwierige Entscheidung stellt, denn einerseits ist (oder war?) assistierte Sterbehilfe in Deutschland verboten und andererseits weiss sie nicht, ob sie in der Lage ist, das Leben ihrer besten Freundin zu beenden. 

Nur leider dreht sich das Buch nicht wirklich um dieses Thema. Dreh- und Angelpunkt stellt vielmehr die Freundschaft der beiden "Lenchens" dar, die in aller Ausführlichkeit von ihrem Kennenlernen (in den 1980ern) bis ins Hier und Jetzt der 2020er-Jahre geschildert wird. Dabei trennen sich die Wege der Freundinnen nach ihrem Studium, da Marlene in die USA zieht und ihr Kontakt häufig schriftlich stattfindet. Das alles findet noch Jahre vor Marlenes Erkrankung statt und im Fokus der Briefwechsel stehen alltagsnahe Themen wie die Liebe, Trennungen oder Kinderkriegen. 

Das Thema Sterbehilfe taucht erstmals nur am Rande auf, als Marlenes Zwillingsschwester an ALS erkrankt und später auch mit einer Sterbehilfeorganisation aus der Schweiz aus dem Leben tritt, als ihre Krankheit bereits weit fortgeschritten ist. 
Marlene selbst erkrankt bereits früh an Krebs, aber erst viele Jahre später erleidet sie ein Rezidiv, das so schnell fortschreitet, dass ihr Krebs nicht mehr heilbar ist und das Thema Sterbehilfe noch einmal in den Vordergrund tritt. Aber nicht so, wie ich erwartet hätte. Denn eigentlich dachte ich, dass das Thema DAS zentrale Element im Buch darstellt und die Freundschaft der beiden Lenchens auf die Probe stellt. Doch stattdessen findet ein Abendessen statt und danach war das Thema scheinbar schon abgehakt und geklärt. 

Das alles wäre nicht schlimm gewesen, wenn die Inhaltsangabe nicht eine völlig andere Geschichte versprochen hätte. Statt eines Romans, das sich vordergründig um das Thema Sterbehilfe dreht, geht es vielmehr um die Freundschaft zweier Frauen und wie sie ihr Leben leben. Ich kann wirklich nicht nachvollziehen, warum dieses Buch so falsch vermarktet wurde. Dabei ist die eigentliche Geschichte nicht mal schlecht, aber einfach so ganz anders, als ich erwartet hatte.

Mein zweiter Kritikpunkt ist dem Schreibstil geschuldet, der mich leider nicht überzeugen konnte. Lou Brihl war eigentlich ihr Leben lang Ärztin und hat sich dann wohl im Ruhestand ein neues Hobby gesucht und schreibt nun Bücher. Das ist im Grunde total okay, aber man merkt es dem Schreibstil bedauerlicherweise an, dass sie keine ausgebildete Schriftstellerin ist. Die Sätze sind alle sehr kurz und knapp gehalten und haben sehr abgehakt gewirkt, sodass ich nie richtig in einen Lesefluss gekommen bin. Der Klappentext wurde vermutlich vom Verlag geschrieben und liest sich dementsprechend sehr flüssig, der Erzählstil im Buch weicht davon sehr ab. Der Fokus liegt auf direkter Rede und manchmal sehr detaillierten Schilderungen von Nebensächlichem, zum Beispiel der genauen Umschreibung, was es zum Essen gibt. Mir haben bildhafte Umschreibungen gefehlt, die die direkte Rede zu einer flüssigen Erzählung hätten entstehen lassen. 
Auch zwischen den Kapiteln finden manchmal riesige Zeitsprünge statt, die erst recht dazu geführt haben, dass ich immer wieder aus der Erzählung gerissen wurde. 

Ausserdem haben viele Szenen und Dialoge wahnsinnig konstruiert und nicht wie aus dem Leben gewirkt. Die Autorin – selbst Ärztin – wirkt mit Fachbegriffen um sich, sodass die Dialoge oftmals sehr gehoben und gestellt gewirkt haben. Ich zweifle sehr an, dass Ärzt:innen in ihrem Alltag so sprechen, als würden sie gerade einen Vortrag auf einer ärztlichen Fachtagung führen. 
Das gilt beispielsweise auch für den Ehemann von Helene, der Psychiater ist und im Buch so spricht, als wäre er selbst Sigmund Freud. Ich bin selbst Psychotherapeutin und mir ist noch nie ein ärztliche:r oder psychologische:r Psychotherapeut:in begegnet, der oder die so gehoben und psychoanalytisch spricht. Das ist wohl zu sehr der Beruf der Ärztin bei Bihl durchgekommen und manchmal hatte ich eher den Eindruck, eine ärztliche Dokumentation zu lesen, anstatt eines fiktionalen Romans. 

Fazit:

Abschliessend lässt sich sagen, dass die Ansätze für eine interessante Geschichte da gewesen wären, aber der Schreibstil ist auf jeden Fall noch verbesserungswürdig und das Buch hätte ganz anders vermarktet werden sollen. Sterbehilfe ist zwar eines der Themen, das im Buch eine Rolle spielt, aber nicht DAS zentrale Thema und es gibt auch keinen wirklichen ethischen Konflikt, der ausgeführt wird. Von mir gibt es aufgrund dieser Kritikpunkte deshalb nur 2.5 Sterne.

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