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(© Arkana) |
Das Kind in dir muss Heimat finden*
von Stefanie Stahl
Gelesen von Nina West
Bewertung: ★★★★☆
Self Help, AudiobookSpieldauer: 6 Stunden und 49 Minuten
Erscheinungsdatum: 18. April 2016
Verlag: Arkana
Inhaltsangabe:
Jeder Mensch sehnt sich danach, angenommen und geliebt zu werden. Im Idealfall entwickeln wir während unserer Kindheit das nötige Selbst- und Urvertrauen, das uns als Erwachsene durchs Leben trägt. Doch auch die erfahrenen Kränkungen prägen sich ein und bestimmen unbewusst unser gesamtes Beziehungsleben. Erfolgsautorin Stefanie Stahl hat einen neuen, wirksamen Ansatz zur Arbeit mit dem »inneren Kind« entwickelt: Wenn wir Freundschaft mit ihm schliessen, bieten sich erstaunliche Möglichkeiten, Konflikte zu lösen, Beziehungen glücklicher zu gestalten und auf (fast) jedes Problem eine Antwort zu finden.
Meine Meinung:
Dieses (Hör-)Buch stand seit Jahren auf meiner Leseliste, aber nicht etwa, weil mich der Titel so angesprochen hat und ich es für mich selbst lesen wollte, sondern weil gefühlt jede:r dieses Buch gelesen hat - darunter auch zahlreiche Patient:innen, die ich psychotherapeutisch begleite. Bei all dem Hype bin natürlich ebenfalls neugierig geworden, wobei ich sagen muss, dass ich sehr skeptisch an das Buch herangegangen bin, da ich zu dem Buch und auch Stefanie Stahl selbst, auch kritische Rückmeldungen gelesen und gehört habe.Grundsätzlich kann ich sagen, dass mich das Buch positiv überrascht hat. Stahl führt auf sehr einfache und verständliche Weise in die Arbeit mit inneren Anteilen und eigenen Glaubenssätze ein, die zum Reflektieren eigener Prägungen und dysfunktionaler Verhaltensweisen anregt. Die Abwechslung zwischen theoretischen Erläuterungen und praktischen Übungen ist genau richtig gewählt und es hat mir sehr gefallen, dass die Autorin direkt auf den Punkt kommt. In vielen anderen Selbsthilfebüchern ist das ganz anders: Da wird viel geredet, aber am Ende wenig Handfestes geliefert. Das ist hier definitiv anders. Stahl ist es wirklich ausserordentlich gut gelungen, die Themen im Buch kurz und knackig zu halten, was das Lesen (bzw. Zuhören) sehr angenehm gestaltet.
Ein weiterer Grund, weshalb mich das Buch positiv überrascht hat, war, dass ich die Themen im Buch selbst täglich in meiner therapeutischen Tätigkeit verwende und von ihnen überzeugt bin. Meine Haltung ist auch, dass viele problematische (Verhaltens-)Muster aus Prägungen in der Vergangenheit stammen und es sehr hilfreich und erleichternd sein kann, sich damit zu befassen, warum wir genau diese Muster anwenden und was die Kosten davon sind. Ich habe keine schematherapeutische Ausbildung, aber die Arbeit mit inneren Anteilen wird in den meisten der neuen Therapierichtungen ebenfalls verwendet (u.a. in der emotionsfokussierten Therapie oder Ego States) und sie hat sich meiner Erfahrung nach bewährt, um eine gewisse Distanz zu den eigenen Problemen zu schaffen.
Trotz den vielen positiven Aspekten, muss ich aber auch ganz klar sagen, dass dieses Buch letztendlich nichts anderes ist, als alter Wein in neuen Schläuchen - denn nichts was Stefanie Stahl hier in diesem Buch von sich gibt, ist in der psychotherapeutischen Forschung neu, noch stammt irgendein Konzept davon von ihr selbst. Anders ist vielleicht nur, dass Stahl einige neue Begriffe verwendet und statt vom "verletzten inneren Kind", vom sogenannten "Schattenkind" spricht. Doch selbst diesen Begriff hat sie nicht selbst erfunden, sondern von einer Berufskollegin übernommen (was sie aber fairerweise im Buch auch offen zugibt). Und ich muss zugeben, dass ich persönlich(!) genau mit diesen Begriffen "Schattenkind" und "Sonnenkind" überhaupt nichts anfangen konnte und sie für mich fast schon esoterisch klingen. Ich würde in der Therapie nie solche Begriffe verwenden, sondern spreche lieber allgemein vom "Inneren Kind Anteil" oder dem "Erwachsenen Anteil", das aus meiner Sicht auch selbsterklärender ist, als "Schatten- und Sonnenkind". Aber das ist sicher Geschmackssache.
Ein weiterer Kritikpunkt ist auch, dass dieses Buch zwar einleuchtend und "einfach" klingt, aber meiner Erfahrung nach eine sehr grosse Reflexionsfähigkeit eigener Muster, der eigenen Lebensgeschichte und der eigenen Gefühle voraussetzt, was in der Realität sehr schwierig sein kann. Ausserdem ist meine Erfahrung auch, dass viele Menschen sehr bald das Konzept der inneren Glaubenssätze und Prägungen rational verstehen, aber dennoch grosse Mühe haben, etwas daran zu verändern, weil die Überzeugungen, dass diese Glaubenssätze wahr sind, emotional manchmal sehr tief sitzen. Für psychische gesunde Menschen ist das Buch sicher eine hilfreiche Stütze, aber bei ernsthaften psychischen Symptomen würde ich dann doch fachliche Unterstützung empfehlen. Ich könnte mir aber sehr gut vorstellen, dass Buch zukünftig als Begleitbuch für einige meiner Therapien zu empfehlen. Dennoch muss man bei der Erwartungshaltung sicher realistisch bleiben und die Versprechung des Untertitels, dass dieses Buch der Schlüssel (fast) aller Probleme ist, ist sicher mit grosser Vorsicht zu geniessen. Es kann aber ein guter Anfang sein, sich mit den eigenen Problemen auseinander zu setzen.
Zur Sprecherin kann ich abschliessend nur positive Worte vergeben: Sie hat eine wirklich angenehme Erzählstimme und -weise und das Zuhören sehr kurzweilig erscheinen lassen. Und ich muss zugeben, dass ich froh bin, dass Stahl das Hörbuch nicht selbst eingelesen hat, denn in ihrem Podcast habe ich ihr nicht sonderlich gern zugehört.
Fazit:
"Das Kind in dir muss Heimat finden" ist aus meiner Sicht zurecht ein Bestseller und aus psychotherapeutischer Sicht kann ich bestätigen, dass die Theorien, die im Buch vermittelt werden, sich auch in Studien als wirksam erwiesen haben. Dennoch muss festgehalten werden, dass Stahl hier sprichwörtlich nur alten Wein in neuen Schläuchen verkauft. All das, was sie hier benennt, wurde von anderen Begründer:innen psychologischer Theorien erfunden - aber zum Glück gibt die Autorin das auch offen zu und macht entsprechende Querverweise. Stahl hat eigentlich nur ein Talent darin erwiesen, die Theorien auf eine kurze und verständliche Weise zusammenzufassen und sie einem breiten Publikum zugänglich zu machen - was eigentlich sehr clever ist, um sich ein goldenes Näschen zu verdienen. ;) Es sei ihr jedoch gegönnt, denn wenigstens hat das, was sie hier erzählt, Hand und Fuss und ich kann eigentlich hinter allem stehen, was im Buch erläutert wird. Wer sich mit eigenen problematischen Glaubens- und Verhaltensmustern auseinandersetzen will, macht mit diesem Buch einen guten Anfang. 4 Sterne gibt es von mir.
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