The Hate U Give
(© cbt) |
The Hate U Give*
von Angie Thomas
Bewertung: ★★★☆☆
YA Contemporary Fiction, 512 SeitenErscheinungsdatum: 24. Juli 2017
Verlag: cbt
*Rezensionsexemplar
Inhaltsangabe:
Die 16-jährige Starr lebt in zwei Welten: in dem verarmten Viertel, in dem sie wohnt, und in der Privatschule, an der sie fast die einzige Schwarze ist. Als Starrs bester Freund Khalil vor ihren Augen von einem Polizisten erschossen wird, rückt sie ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Khalil war unbewaffnet. Bald wird landesweit über seinen Tod berichtet; viele stempeln Khalil als Gangmitglied ab, andere gehen in seinem Namen auf die Straße. Die Polizei und ein Drogenboss setzen Starr und ihre Familie unter Druck. Was geschah an jenem Abend wirklich? Die Einzige, die das beantworten kann, ist Starr. Doch ihre Antwort würde ihr Leben in Gefahr bringen... (© cbt)
Meine Meinung:
-- Achtung enthält Spoiler --„The Hate U Give“ ist DAS Buch, über das 2017 überall gesprochen wurde und dessen Hype wohl an keinem Leser, der in irgendeiner Lesecommunity unterwegs ist, entgangen ist. Das Buch hat zahlreiche Literaturpreise abgeräumt und wurde schliesslich Ende Jahr zum Debütroman des Jahres auf Goodreads gewählt. Spätestens seit dieser Masseneuphorie ist das Buch auch auf meiner Wunschliste gelandet und ich wollte unbedingt wissen, worum es denn in dem Buch mit dem schlichten Cover geht, über das alle reden. Dank dem cbt Verlag bin ich nun endlich dazu gekommen, diesen Wunsch zu erfüllen.
Die Story wird aus dem Blickwinkel von Starr erzählt, deren bester Freund zu Beginn der Geschichte auf tragische Weise von einem weissen Polizisten erschossen wird. Damit greift die Autorin eine wichtige Thematik auf, die in den vergangenen Jahren immer wieder aufgrund dramatischer Vorfälle in die Medien gelangt ist: Polizeigewalt gegenüber Afroamerikanern in den USA. Nicht selten kommt es vor, dass afroamerikanische, unbewaffnete Jugendliche scheinbar grundlos von (weissen) US-Polizisten erschossen oder auf andere Weise getötet werden. Es gibt zu dem Thema auch viele Dokumentationen, die ich in der vergangenen Zeit auf Netflix gesehen habe. Die Dokus haben mich nicht nur sehr berührt, sondern auch nachdenklich gestimmt. Obwohl auch Rassismus ein gegenwärtiges Thema in Europa ist, ist die Geschichte um Starr und ihren verstorbenen Freund eher etwas, das eine spezifische Problematik in den USA anspricht – und das ist neben der unnötigen Polizeigewalt sicher das zu lasche Waffengesetz, das sich sehr von den Gesetzen in Europa unterscheidet. In den USA, insbesondere in den meisten Südstaaten, rennt jeder Otto-Normalverbraucher mit einer Waffe herum, selbst wenn er nur kurz in den Walmart zum Einkaufen fährt. Dieser Umstand wird von Seiten der Waffenlobby mit einem verstärkten Gefühl von Sicherheit gerechtfertigt, führt aber letztendlich nur dazu, dass man jederzeit damit rechnen muss, von irgendwem grundlos abgeknallt zu werden, wenn man nur eine falsche Bewegung macht. Aufgrund von Vorurteilen und ja, auch rassistischen Gründen, sind die Opfer dieses Szenarios leider oftmals Afroamerikaner. Und genau das war auch hier der Fall, denn Khalil – Starrs bester Freund – hat sich zu keinem Zeitpunkt unkooperativ oder gefährlich gezeigt, weshalb es nicht nur für Starr, sondern auch für mich als Leserin unverständlich war, wieso der Polizist ihn erschossen hat.
Im weiteren Verlauf macht Khalils Tod natürlich in der (hauptsächlich von afroamerikanisch-dominierten) Nachbarschaft die Runde und löst viel Ärger und Unverständnis aus. Zurecht, wie ich finde, denn einmal mehr wurde ein unschuldiger Jugendlicher umgebracht, ohne dass jemand dafür zu Rechenschaft gezogen wird. Starr hadert am Anfang, ob sie genau aus diesem Grund vor Gericht aussagen und als Zeugin im Fall Khalil auftreten soll. Einerseits will sie Gerechtigkeit für ihren besten Freund, auf der anderen Seite läuft sie damit auch Gefahr, in den Fokus der Öffentlichkeit zu geraten. Doch durch einen Rat von einer aussenstehenden Person, entschliesst sie sich schliesslich dafür: Wenn sie etwas verändern will, dann muss sie ihre Stimme dafür nutzen.
Neben diesem Hauptplot lernen wir Starr und ihre Familie etwas besser kennen. Die Autorin gibt dem Leser dadurch einen Einblick in das Leben einer afroamerikanischen Familie, das nicht nur durch Rassismus und Vorurteile, sondern auch durch Gangkriminalität geprägt ist. Starrs Vater ist selbst Aussteiger einer solchen Gang und hat einige Jahre im Knast abgesessen, bis er zu seiner Familie zurückgekehrt ist. Obwohl die Gangrivalitäten und die daraus resultierenden Gefahren immer wieder nebenbei erwähnt wurden (u.a. dadurch, dass auch Khalil aufgrund Druck einer Gang Drogen verkaufen musste), kam mir die kritische Auseinandersetzung mit Gangs etwas zu kurz. Es wird zwar gezeigt, wie gefährlich die Nachbarschaft ist, aber in Zusammenhang mit der (Über-)Reaktion des Polizisten, der Khalil erschossen hat, wird das Ganze nicht gebracht. Während sich jeder über den Tod von Khalil aufregt, wird es scheinbar von den meisten einfach so hingenommen, dass hin und wieder ein Afroamerikaner durch irgendwelche Gangs auf offener Strasse erschossen wird. (Und das kommt laut dem Buch nicht sehr selten vor). Es ist aber davon auszugehen, dass es sich gerade dadurch um eine sehr gefährliche Gegend handelt und dieser Umstand vermutlich massgeblich an der Reaktion des Polizisten beteiligt war. Damit will ich aber nicht sagen, dass seine Tat gerechtfertigt war oder er keine Strafe verdient hätte – im Gegenteil! Aber die Beweggründe des Polizisten werden im Buch gänzlich weggelassen, so dass eine sehr einseitige Perspektive gezeigt wird, die meiner Meinung nach nur bedingt dazu führt, dass das Problem mit den Waffen und der Polizeigewalt in naher Zukunft gelöst werden kann.
Neben dieser Einseitigkeit, wird auch das Thema Rassismus in Alltagssituationen immer wieder aufgegriffen. Im Zentrum steht dabei vor allem Starrs beste Freundin, die sich auf Tumblr von ihr abgewendet hat, was Starr gleich als rassistischen Zug wertet. (Das fand ich ehrlich gesagt ein bisschen übertrieben…) Die Freundin macht ein paar unbedachte (und ja, u.a. rassistische) Kommentare, die im Schlussteil dazu führen, dass Starr mit ihr in eine Schlägerei anfängt. Was normalerweise zu einer Strafe von ihren Eltern geführt hätte, wird aber in diesem Fall fast schon gefeiert. Dieses Ereignis ist mir sauer aufgestossen, denn ich fand es schade, dass es hier Gewalt als legitimes Mittel gegen Rassismus präsentiert wird, wo doch genau das eigentlich kritisiert werden soll. Noch einmal: Damit will ich nicht sagen, dass rassistische Aussagen oder Handlungen aller Art berechtigt sind – im Gegenteil! Ich finde es aber auch nicht sinnvoll, auf Rassismus mit Gewalt und Vandalismus zu reagieren, um etwas zu erreichen.
Genau das passiert leider am Schluss des Buches. Der Polizist wird – wie erwartet – nicht angeklagt und die afroamerikanische Gemeinschaft geht auf die Strasse um ihrem Ärger über das Urteil Ausdruck zu verleihen. Die Emotionen und das Unverständnis konnte ich sehr gut nachvollziehen, aber die Art und Weise wie dies geäussert wurde, fand ich nicht sehr förderlich, um die Situation zu entschärfen: Die Leute gehen auf die Strasse, randalieren und zünden Häuser und Geschäfte an und bringen sich selbst damit in Gefahr. Ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen ist wichtig, aber diese Aktion fand ich echt ungünstig dafür. Das hätte man sicher auch auf eine zweckdienlichere Art machen können.
Ansonsten bleibt noch zu sagen, dass das Buch sehr umgangssprachlich und in einer Art „Slang“ geschrieben ist, der vermutlich gebräuchlich unter afroamerikanischen Jugendlichen ist und für mehr Authentizität sorgen soll. Ich fand das Lesen aber gerade dadurch oftmals sehr anstrengend, habe aber auch erst am Schluss (des Ebooks) gesehen, dass es ein Glossar gegeben hätte, das einige Wörter, die immer wieder genutzt werden, erklärt. Trotzdem hat mich z.B. dieses „Das ist mein boyfriend“, nach einer Weile derartig genervt, dass ich die Beziehung zu Chris, den Starr als ihren „Boyfriend“ betitelt, gar nicht mehr richtig ernst nehmen konnte.
Ein weiterer Kritikpunkt waren die vielen Zeitsprünge, die meiner Meinung nach immer dann eingesetzt wurden, wenn es richtig spannend geworden wäre. Es wird beispielsweise die komplette Verhandlung mit dem Polizisten weggelassen, bei der wir vielleicht mehr über die Hinter- und Beweggründe des Täters erfahren hätten. Nicht, dass damit seine Tat gerechtfertigt worden wäre, aber es hätte zumindest einen anderen Blickwinkel auf die Geschehnisse verschafft, so dass der Leser sich selbst seine eigene Meinung hätte bilden können, die nicht durch eine einseitige Perspektive aufgedrängt wird.
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