[Rezension] Zwischen den Welten

by - November 15, 2021

(© Goldmann)

Zwischen den Welten* Was mich die Begegnung mit dem Tod über das Leben lehrte
von Suleika Jaouad

Bewertung: ★★★☆☆

Memoir, 480 Seiten
Erscheinungsdatum: 18. Oktober 2021
Verlag: Goldmann


*Rezensionsexemplar. Vielen Dank an den Goldmann Verlag.

Inhaltsangabe:
Mit 22 wollte Suleika Jaouad die Welt erobern. Sie war verliebt und nach Paris gegangen, um als Kriegsreporterin zu arbeiten. Doch mit einem Mal fand sie sich auf einem ganz anderen Schlachtfeld wieder. Es fing mit einem Jucken im Bein an, dann kamen sechsstündige Nickerchen und bodenlose Erschöpfung. Die Diagnose: Leukämie. Urplötzlich löste sich Suleikas Leben in Rauch auf, und die nächsten vier Jahre verbrachte sie im Krankenhaus, ließ Chemotherapien und eine Knochenmarkspende über sich ergehen. Den Kampf um ihr Leben dokumentierte sie in der preisgekrönten New York Times-Kolumne „Life Interrupted“. Nach 1.500 Tagen galt sie als geheilt. Doch wie sollte sie es schaffen, wieder in die Welt zurückzukehren, die sie verlassen hatte? Wie zurückerobern, was verloren gegangen war? Zusammen mit ihrem Terrier Oscar unternahm Suleika einen Roadtrip durch die USA. Was sie unterwegs und in der Begegnung mit anderen Menschen lernte, empfand sie als das größte Lebensgeschenk. Denn die Grenze zwischen gesund und krank ist für uns alle durchlässig, und die meisten werden zeit ihres Lebens zwischen diesen beiden Königreichen hin und her pendeln. Suleikas Geschichte ist die bewegende Chronik eines Überlebenskampfes – und eine Liebeserklärung an die Kraft und Magie des Neubeginns.

Meine Meinung:

Gleich zu Beginn muss ich hervorheben, dass ich die offizielle Inhaltsangabe (in Kombination mit dem Cover) rückblickend sehr irreführend finde. Ich bin davon ausgegangen, dass das Buch in erster Linie die Zeit NACH Jaouads Krebsbehandlung beschreibt und der Fokus auf ihrer Reise durch die USA liegt - also eigentlich das, was auch dieses verträumte Reisefoto auf dem Cover verspricht.
In Wahrheit drehen sich rund zwei Drittel des Buches aber um die Krebsdiagnose und die anschliessend langjährige Behandlungen, durch die die Autorin die meiste Zeit in Krankenhäusern verbracht hat. Dieser Fokus ist an und für sich auch interessant, aber es war eben nicht das, was ich durch die Inhaltsangabe erwartet hatte. Die Folge daraus war, dass ich beim Lesen ziemlich ungeduldig geworden bin und mich ständig gefragt habe, wann denn die eigentliche Story losgeht.
Ich kann mir nicht erklären, was sich der Verlag dabei gedacht hat, dieses Buch mit falschen Erwartungen zu vermarkten, denn wenn ich von Anfang an gewusst hätte, dass es nicht vordergründig um eine Selbstfindungsreise geht, dann hätte ich mich besser auf den eigentlichen Inhalt einlassen können.

Nachdem dies nun gesagt ist, möchte ich aber natürlich auch kurz auf die tatsächlichen Erlebnisse aus dem Buch eingehen. Jaouad beginnt ihr Buch einige Zeit vor ihrer Leukämie Diagnose, und schildert, welche Pläne sie damals als junge Erwachsene gehabt hätte und wie diese alle durch die erschütternde Krebsdiagnose über den Haufen geworfen wurden. Was dann folgt, sind viele hunderte Seiten darüber, wie die Autorin die Zeit im Krankenhaus erlebt hat, welche Auswirkungen die Krankheit (und die lange Behandlungszeit) auf ihre damals noch sehr junge Liebe zu ihrem Freund Will hatte und welchen anderen Krebspatient:innen sie begegnet ist.
Obwohl Jaouads Schicksal - gerade in ihrem jungen Alter - sehr erschütternd ist, hat mich ihre Erzählung aber trotzdem überraschend kaltgelassen. Und ich vermute der Grund dafür lag darin, dass die Autorin in ihrem Buch teilweise sehr oberflächlich bleibt und sie ihre Geschichte eher emotional distanziert erzählt. Gerade als die Konflikte mit ihrem damaligen Partner mehr in den Vordergrund treten, erfährt man eigentlich sehr wenig über die tatsächlichen Streitpunkte oder wie Jaouad emotional mit der schwierigen Situation umgegangen ist.
Ironischerweise wird in einigen Goodreads-Rezensionen kritisiert, dass das Buch zu sehr ichbezogen und die Autorin dadurch narzisstisch wirkt. Bei mir war viel eher das Gegenteil der Fall: Für eine Autobiografie hat mir zu sehr die emotionale Tiefe gefehlt und die Autorin verschwendet sehr viel Zeit damit, ständig irgendwelche Nebenschauplätze aufzumachen, indem sie andere Personen in den Vordergrund stellt, die sie im Krankenhaus kennengelernt hat und ebenfalls schwer krank sind.
Versteht mich nicht falsch: Die Schicksale tun mir sehr leid und ich wünsche es niemandem - vor allem nicht so jungen Menschen - an Krebs zu erkranken, aber ich bin davon ausgegangen, dass es im Buch um das Leben der Autorin geht und nicht um eine Sammlung an verschiedenen Krebsgeschichten. Auch hier hat mir wieder die emotionale Tiefe gefehlt, denn was diese Schicksale (die teilweise auch leider zu Todesfällen geführt haben) mit Jaouad gemacht haben, erfährt man leider kaum.

Im letzten Drittel ist es dann endlich so weit, und die lange angekündigte Reise durch die USA steht bevor. Für mich kam das bedauerlicherweise zu spät, denn zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits einen Grossteil meines Interesses dafür verloren, weil ich so lange darauf warten musste. Leider konnte auch dieser Schlussteil nicht ganz halten, was er verspricht, denn erneut hatte ich den Eindruck, dass sich Jaouad viel zu sehr in den Begegnungen mit Freunden und Bekannten auf ihrer Reise verliert, als dass wir tatsächlich einen Einblick in ihre Gedanken und Gefühle bekommen haben.

Insgesamt kann ich sagen, dass die ich Jaouad für ihre Kraft und ihr Durchhaltewille bewundere, eine solche schwere Erkrankung in ihren 20er durchmachen zu müssen und sie mein tiefstes Mitgefühl für ihre Erlebnisse hat. Die Darstellung der Erlebnisse als autobiografisches Buch konnte mich jedoch nicht so richtig überzeugen, weil mir die Erzählung stellenweise zu oberflächlich geblieben ist und mich die Autorin mit ihrer Schreibweise emotional nicht erreichen konnte - dafür verliert sie sich zu sehr im Leben anderer Personen. Würde es sich nicht um wahre Begebenheiten handeln, hätte ich dem Buch wahrscheinlich sogar nur 2 Sterne vergeben.

Fazit:

"Zwischen den Welten" verspricht mit seiner Inhaltsangabe und seinem Cover ein Roadtrip, die die Autorin nach ihrer jahrelangen Krebsbehandlung macht, um sich selbst zu finden. Leider handelt es sich dabei um eine falsche Versprechung, denn die Selbstfindungsreise nimmt nur einen kleinen Teil am Ende des Buches ein und im Vordergrund steht vielmehr die jahrelangen Krebsbehandlungen im Krankenhaus. Dadurch bin ich mit den falschen Erwartungen an das Buch herangegangen und wurde letztendlich enttäuscht. Ausserdem bleibt die Autobiografie überraschend oberflächlich und statt emotionaler Tiefe, erzählt die Autorin lieber etwas über die Schicksale einige ihrer Mitpatient:innen, was letztendlich dazu geführt hat, dass mich das Buch emotional nicht richtig erreichen konnte. Von mir gibt es deshalb etwas enttäuschte 3 Sterne.

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2 Kommentare

  1. Hallo liebe Mel,

    ich kann deine Enttäuschung gut verstehen. Ich hatte es auch schon mal bei einem Buch, dass ich aufgrund des Klappentextes von bestimmten Elementen ausgegangen bin und die Geschichte mir letztlich etwas völlig anderes vermittelt hat. Mir ist es damals gelungen mich gedanklich auf die "neue" Richtung einzulassen. Ich kann aber verstehen, dass dir das hier sehr schwer gefallen ist.

    Sehr schade ist natürlich auch, dass die Emotionen nicht intensiv vermittelt wurden. Gerade bei so einer Thematik ist eine distanzierte Erzählweise, meiner Meinung nach, schwierig.

    Liebe Grüße
    Tanja

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    1. Ja, ich glaube hier ist mir das auch schwer gefallen, weil ich selbst mit Krebspatient:innen arbeite und mir der Alltag bei Chemotherapien nicht ganz fremd ist. Ich hätte mich vielmehr für das Innenleben der Autorin und ihren Umgang mit (bzw. nach der Situation) interessiert.

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