[Rezension] Weibliche AD(H)S
(© Kösel) |
Weibliche AD(H)S*
von Dr. med. Astrid Neuy-Lobkowicz
Bewertung: ★★☆☆☆
Self Help, 256 SeitenErscheinungsdatum: 27. März 2024
Verlag: Kösel
*Rezensionsexemplar. Vielen Dank an den Kösel Verlag.
Inhaltsangabe:
Die erfahrene Ärztin Dr. med. Astrid Neuy-Lobkowicz erklärt, was eine weibliche AD(H)S auszeichnet und wie betroffene Frauen trotz ihrer oft späten Diagnose und häufiger Fehlbehandlungen ein gelingendes und erfülltes Beziehungs-, Familien- und Arbeitsleben führen, zur Ruhe finden und Erschöpfung vorbeugen können. Dieses Buch gibt Antworten auf die Fragen wie man mit weiblicher AD(H)S im Alltag gut leben kann, was es bedeutet, eine AD(H)S-Frau zu sein und wie man als solche zu mehr Stärke und Organisation findet.
(© Kösel)
Meine Meinung:
"Disclaimer" zu Beginn: Ich habe dieses Buch nicht als Betroffene mit einem AD(H)S gelesen, sondern als Fachperson, die erwachsene Menschen mit einem AD(H)S behandelt und begleitet. Ich habe in diesem Jahr mehrere Weiterbildungen zum Thema AD(H)S besucht und mir dementsprechend ein Fachwissen in diesem Bereich angeeignet, das vermutlich massgeblich einen Einfluss auf die nachfolgende eher kritisch formulierte Rezension hatte. Zudem vertrete ich eine sehr humanistische Grundhaltung in meiner Arbeitsweise, was vermutlich ebenfalls dazu geführt hat, dass ich nachfolgend viele Details kritisiere, die mich im Buch gestört haben.
Ich war gespannt auf dieses Buch, da ich immer wieder gerne Fachliteratur zur psychischen Gesundheit lese – insbesondere in der Hoffnung, Titel zu finden, die ich meinen Patient:innen empfehlen kann. Frauen werden in der Psychologie wie auch in der Medizin häufig vernachlässigt, da viele Diagnosekriterien und Behandlungsmethoden auf männlichen Stichproben basieren. Das gilt auch für AD(H)S. Daher war ich erfreut, dass sich eine Expertin diesem wichtigen Thema widmet und ein Buch speziell für Frauen geschrieben hat.
Die Autorin liefert einen umfassenden Überblick über AD(H)S, seine geschichtliche Entwicklung sowie die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten. Mit zahlreichen Unterkapiteln deckt sie viele relevante Bereiche ab, was das Buch zu einem informativen Werk macht.
Ich war gespannt auf dieses Buch, da ich immer wieder gerne Fachliteratur zur psychischen Gesundheit lese – insbesondere in der Hoffnung, Titel zu finden, die ich meinen Patient:innen empfehlen kann. Frauen werden in der Psychologie wie auch in der Medizin häufig vernachlässigt, da viele Diagnosekriterien und Behandlungsmethoden auf männlichen Stichproben basieren. Das gilt auch für AD(H)S. Daher war ich erfreut, dass sich eine Expertin diesem wichtigen Thema widmet und ein Buch speziell für Frauen geschrieben hat.
Die Autorin liefert einen umfassenden Überblick über AD(H)S, seine geschichtliche Entwicklung sowie die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten. Mit zahlreichen Unterkapiteln deckt sie viele relevante Bereiche ab, was das Buch zu einem informativen Werk macht.
Leider hat mich schon früh der pauschalisierende Stil der Autorin gestört. Psychische Erkrankungen lassen sich schwer verallgemeinern, da Symptome individuell sehr unterschiedlich auftreten können. Dennoch hat die Autorin oft kategorisierende Formulierungen verwenden, wie etwa: „Frauen mit AD(H)S sind so und so und machen dies und jenes.“ Die Aussagen wirken dadurch, als wären sie allgemeingültig und auf jede Frau mit AD(H)S zutreffend. Dies verleiht dem Ton des Buches etwas Belehrendes und vermittelt das Gefühl, man werde in ein Schema gepresst, das nicht auf alle zutrifft. Eine differenziertere Sprache wie zum Beispiel „Frauen mit AD(H)S neigen häufig dazu, sich so zu verhalten“ hätte dem Buch gutgetan und professioneller gewirkt.
Hinzu kommt, dass die zahlreichen Beispiele, die die Autorin beschreibt, was Frauen mit AD(H)S ihrer Erfahrung nach alles tun, fühlen oder denken, sich am Ende fast wie ein Horoskop lesen: Wer lange genug sucht, findet sich zwangsläufig irgendwo wieder.
Weiter ist das Buch aus meiner Sicht inhaltlich nicht auf dem neuesten Stand der Forschung. Die Autorin erwähnt beispielsweise Ernährung als möglichen Einflussfaktor, obwohl neuere Studien keine wissenschaftlichen Belege dafür liefern. Gleichzeitig bleiben wichtige Themen wie Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen als Risikofaktoren unerwähnt. Auch die mittlerweile veraltete Unterscheidung zwischen ADS und AD(H)S wird nicht kritisch reflektiert.
Ein weiterer Kritikpunkt ist der, dass die Autorin die Wirkung von Medikamenten bei AD(H)S als die einzig hochwirksame Behandlung hervorhebt. Auch wenn ich zustimme, dass Medikamente die einzige Massnahme sind, die nachweislich hirnorganische Ursachen des AD(H)S beeinflussen können, so sind auch psychotherapeutische Strategien sehr wirksam, um Betroffenen den Umgang mit Herausforderungen im Alltag zu erleichtern. Dies wird jedoch im Buch zu wenig betont. Stattdessen macht die Autorin zwischen den Zeilen den Vorwurf, Psychotherapeut:innen würden versuchen, AD(H)S "wegzutherapieren" und die Wirkung von Medikamenten verschweigen - was sie mit fehlenden Erfahrungen von Therapeut:innen in der Behandlung von AD(H)S begründet. Meine Erfahrung zeigt hingegen, dass viele Betroffene Medikamente ablehnen, sodass es durch Psychotherapie oder Coaching hilfreich sein kann, Strategien für den funktionalen Umgang mit Symptomen zu erlernen.
Den ärztlichen Hintergrund macht sich auch in anderen Kapiteln bemerkbar, als die Autorin zum Beispiel Angststörungen beschreibt. Hier erwähnt sie zwar, dass Verhaltenstherapie das Mittel erster Wahl ist und sehr wirksam ist, sie erwähnt jedoch in einem Nebensatz, dass Panikattacken nur mit Notfallmedikamenten behandelt werden können, was faktisch einfach falsch und häufig sogar kontraproduktiv für den Behandlungserfolg der Ängste ist.
Aus ethisch-moralischer Sicht haben mich auch weitere Aussagen gestört. So schreibt die Autorin, dass sie oft Hochbegabungen bei AD(H)S-Betroffenen diagnostiziert, den Betroffenen dies jedoch nicht mitteilt, wenn sie Schulabbrüche oder gescheiterte Ausbildungen hinter sich haben, da sie sich dadurch schlechter fühlen könnten. Das finde ich hochgradig unprofessionell. Wenn man eine Diagnose stellt, ist es aus ethischer Sicht problematisch, das Ergebnis nicht mitzuteilen. Alles andere kommt einem Belügen der Patient:innen gleich und entspricht nicht einer humanistischen Grundhaltung, die Ehrlichkeit und Transparenz hervorhebt.
Auch beim Unterkapitel zu PTSD hatte ich grosse Mühe. Die Autorin verwechselt Korrelation mit Kausalität und behauptet, der Zusammenhang zwischen PTSD und AD(H)S liesse sich damit erklären, dass Frauen mit AD(H)S naiver und risikobereiter seien. Diese Formulierung ist nicht nur falsch, sondern stigmatisierend und grenzt an Victim-Blaming – als ob es die Schuld der Betroffenen sei, häufiger Opfer sexueller Gewalt zu werden.
Neben diesen Kritikpunkten, die sich vor allem auf problematische Formulierungen fokussieren, war ich am Ende aber auch inhaltlich enttäuscht. Das Buch richtet sich speziell an weibliche Personen, am Ende kommen die speziell weiblichen Aspekte für mich im Buch aber viel zu kurz. Irgendwann geht Neuy zwar auf biologisch weibliche Aspekte wie den Zyklus, die Wechseljahre oder die Sexualität ein, diese Beschreibungen lasen sich für mich aber allgemeingültig für das weibliche Geschlecht und haben für mich nicht speziell etwas mit einem AD(H)S zu tun. Ja, es gibt Frauen, die hormonelle Schwankungen erleben, was sich wiederum auf die Stimmung auswirken kann. Ja, es gibt Frauen, deren Sexualität sich nach einer Geburt und mit Kleinkindern aufgrund der fehlenden Zeit verändert, was zwangsläufig Auswirkungen auf die Partnerschaft hat. Aber all dies hat für mich nicht speziell mit einem AD(H)S zu tun, sondern eher mit dem Frausein an sich.
Am Ende werden auch Strategien im Umgang mit gewissen Schwierigkeiten beschrieben, die jedoch altbewährt und bereits aus anderen Fachbüchern bekannt sind, und somit nicht speziell für Frauen formuliert wurden.
Was mir jedoch gut gefallen hat, ist, dass die Autorin sehr oft die positiven Seiten eines AD(H)S aufzeigt, und welche Stärken es mit sich bringt, statt sich nur auf die Defizite zu fokussieren.
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