[Rezension] Yellowface

by - September 17, 2023

( ©William Morrow)

Yellowface
von R.F. Kuang

Bewertung: ★★★★★

Contemporary Fiction, 336 Seiten
Erscheinungsdatum: 16. Mai 2023
Verlag: William Morrow


Inhaltsangabe:
June Hayward und Athena Liu könnten beide aufstrebende Stars der Literaturszene sein. Aber Athena ist ein Überflieger, June dagegen ein Niemand. Wer will schon Geschichten über »ganz normale« weisse Mädchen, denkt June.
Als Athena bei einem Unfall stirbt, ist June dabei - und handelt impulsiv: Sie stiehlt Athenas gerade vollendetes Buchprojekt, einen Roman über die Heldentaten chinesischer Arbeiter während des Ersten Weltkriegs.
June überarbeitet das Manuskript und veröffentlicht es unter ihrem neuen Künstlernamen Juniper Song. Verdient es dieses Stück Geschichte nicht, erzählt zu werden, egal von wem? Aber nun muss June ihr Geheimnis hüten. Und herausfinden, wie weit sie dafür gehen will. (Offizielle deutsche Inhaltsangabe ©Eichborn)

Meine Meinung:

R.F. Kuang war in den letzten Monaten mit einigen ihrer Bücher in den Bestsellerlisten aus aller Welt vertreten. Während mich bei ihrem anderen Buch "Babel", das vielen bekannt sein dürfte, die Seitenzahl abgeschreckt hat, war ich bei Yellowface sehr neugierig, herauszufinden, was es mit dem Hype um das Buch (und auch die Autorin) auf sich hat.
Ich habe das Buch auf Englisch im Zuge einer Leserunde gelesen, es erscheint jedoch bereits Anfang 2024 auf Deutsch, sodass ich mit dieser Rezension schon mal auf ein mögliches Jahreshighlight im kommenden Jahr in der deutschen Buchwelt aufmerksam möchte.

Der deutsche Klappentext fasst eigentlich schon sehr gut zusammen, worum es in dem Buch geht. Kuang verliert keine in diesem Buch, und bereits in den ersten Kapiteln geschieht das alles, was im Klappentext beschrieben steht, was letztendlich für die Ausgangslage der ganzen restlichen Handlung dient: Es geht um die Protagonistin June, die seit vielen Jahren versucht als Autorin Fuss zu fassen, dabei aber bislang nicht wirklich erfolgreich war – ganz im Gegensatz zu ihrer Freundin Athena, die bereits mehrere Bestseller veröffentlicht hat.
Als sich June eines Tages mit Athena in deren Wohnung trifft, kommt es zu einem Unfall, bei dem Athena überraschend verstirbt. Und da June als einzige anwesend ist, steckt sie bei dieser Gelegenheit ein unveröffentlichtes Manuskript und Notizen ihrer Freundin ein.
Als wäre dieser Diebstahl nicht schon schlimm genug, entschliesst sich June das Manuskript ihrer verstorbenen Freundin zu veröffentlichten und es als ihr eigenes auszugeben. Und damit verwickelt sie sich in ein Lügengeflecht, das mit jedem weiteren Kapitel grösser und problematischer wird.

Ich muss sagen, dass ich noch nie so schnell in eine Geschichte eingetaucht bin, wie in Yellowface. Kuang hat einen unglaublich fesselnden Schreibstil und bereits nach wenigen Kapitel wurde ich von Junes schrecklichen Taten in einen Sog gezogen, der mich nicht mehr losgelassen hat. Junes Charakter und all ihre Taten im Buch sind in so vielerlei Hinsicht ethisch und moralisch problematisch, dass sich die ganze Story wie ein Unfall anfühlt, die eigentlich nur schrecklich mitzuerleben ist – man kann aber irgendwie trotzdem nicht wegschauen.
June hinterlässt mit ihrer Entscheidung, das Manuskript von Athena einen richtigen Kollateralschaden, der sich immer weiter ausbreitet. Doch statt dem Ganzen Einhalt zu gebieten, sich einzugestehen, dass sie einen Fehler gemacht hat, versucht sich June die ganze Zeit über einzureden, dass sie im Recht ist (und begründet das auch immer wieder mit Argumenten, die zum Haare raufen sind), und macht damit alles nur noch schlimmer. Und das geht immer so weiter, bis man fast nicht mehr wissen will, wo ihre Taten noch hinführen werden...

Der ganzen Geschichte ist das Thema Rassismus übergeordnet, da Athena chinesischer Herkunft ist und ihr Manuskript von der chinesischen Geschichte während des Ersten Weltkrieges erzählt. June ist demgegenüber kaukasisch und hatte bis zum gestohlenen Manuskript nichts mit der chinesischen Kultur oder Geschichte zu tun. Und genau dieser Umstand führt im Buch immer wieder zu Szenen, in denen sich June (gewollt oder ungewollt) rassistisch verhält.
Was mir hier bei Yellowface so gut gefallen hat, war, wie die Art, wie Kuang die Geschichte erzählt und das Thema Rassismus rüberbringt. Statt eines belehrenden Tones oder einem erhobenen Zeigefinger erhält man hier eine fast schon bitterböse, schwarze Komödie mit einem satirischen Unterton, bei dem ich stellenweise nicht wusste, ob ich weinen oder lachen soll.

Was mir auch gut gefallen hat, war der Einblick in die Welt einer Autorin. Kuang schildert sehr eindrücklich, wie der Kauf von Rechten eines Buches über die Bühne geht, wie die Bücher lektoriert und vermarktet werden und es kommt auch mehr als einmal das Thema Reviews auf Goodreads zur Sprache. Dabei legt sich natürlich ein Fokus darauf, wie auch der Verlag mithilft, Junes problematische Verhaltensweisen zu vertuschen, was das Ganze noch schlimmer macht, aber vermutlich gut aufzeigt, wie es hinter den Kulissen von Verlagen manchmal tatsächlich ablaufen kann.

Die einzigen zwei Kritikpunkte, die ich während des Lesens hatte, waren zwei Szenen, die ich als etwas konstruiert empfunden habe. Einmal ging es darum, dass June von jemandem erpresst wird und dieser Handlungsstrang auf sehr unglaubwürdige Weise abrupt wieder fallengelassen wurde und das andere Mal ging es um eine Szene am Ende des Buches, als June auf eine:n weitere:n Widersacher:in in einem Showdown trifft, den ich als over-the-top empfunden habe. Aber das ist wirklich Kritik auf höchstem Niveau.

Fazit:

Yellowface ist ein bitterböser Roman über die Folgen von Rassismus am Beispiel einer weissen Autorin, die ein geklautes Buch über die chinesische Geschichte veröffentlicht. Die Handlung wird in einem solchen Tempo erzählt, dass die Kapitel sprichwörtlich dahinfliegen. Man wird von Seite 1 an in diese schreckliche und doch packende Erzählung hineingesogen und wird Zeuge von so vielen rassistischen und ethisch/moralischen problematischen Szenen, dass man gezwungen wird, auch das eigene Denken zu reflektieren. Für mich definitiv ein Jahreshighlight, das ich nur jedem wärmstens ans Herz legen kann. Selten hat mich eine Geschichte auf so problematische Weise unterhalten, wie Yellowface.

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2 Kommentare

  1. Hallo liebe Mel,

    und schon wurde mein Wunsch erfüllt :o)

    So oft habe ich schon gedacht, dass ich mal ein Buch aus dem Hause Eichborn lesen müsste. So oft haben mich hier schon die Klappentexte angesprochen. Du bestätigst, dass ich dieses Vorhaben zeitnah mal umsetzen sollte.

    Auch, wenn mich die Story jetzt nicht vom ersten Moment an abgeholt hat, so hat es deine Rezension doch von Zeile zu Zeile immer mehr. Du hattest mich mit der bitterbösen, schwarzen Komödie, aber auch mit dem Rassismus, der hier thematisiert wird. Das sich immer weiter entwickelnde Lügenkonstrukt kann für einige Spannungsmomente sorgen. Die Autorin hat dieses Potenzial scheinbar auch perfekt ausgenutzt.

    Schon bei der Erwähnung, dass die Protagonistin, bisher noch keinerlei große Berührungspunkte zur chinesischen Kultur/Geschichte hatte, lässt bei mir, was die Konflikte betrifft, auch schon das Kopfkino anspringen.

    Eine sehr schöne Empfehlung von dir, die ich mir gerne mal auf die Wunschliste notieren werde.

    Liebe Grüße
    Tanja :o)

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    1. Vom Eichborn Verlag habe ich auch noch nicht so viele Bücher gelesen, aber der Verlag hat meines Erachtens ein gutes Händchen dafür, was die Auswahl ihrer Bücher angeht, die sie aus dem Englischen übersetzen.
      Die Story klingt tatsächlich auf den ersten Blick nicht so mitreissend, da bin ich ganz bei dir. Es ist eher die Art und Weise, wie die Story erzählt wird, die mich so unglaublich begeistert hat.
      Falls es das Buch auf deine Leseliste schafft, bin ich gespannt auf deine Rezension. :)

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