[Rezension] Es muss ja nicht perfekt sein

by - August 18, 2019

(© cbj Verlag)

Es muss ja nicht perfekt sein*
von Krystal Sutherland

Bewertung: ★★☆☆☆

YA Contemporary, 350 Seiten
Erscheinungsdatum: 22. April 2019
Verlag: cbj


*Rezensionsexemplar. Vielen Dank an den cbj Verlag.

Inhaltsangabe:
Esthers Familie ist ungewöhnlich. Das ist das Mindeste, was man sagen kann. Ihr Vater wagt sich nicht mehr aus dem Keller, der Bruder kann nur bei Licht schlafen und die Mutter hat panische Angst vor allem, was Unglück bringen könnte. Was Esthers größte Angst ist, weiß sie nicht. Aber vorsichtshalber notiert sie alles, was infrage kommen könnte, in einer Liste. Und die gerät ausgerechnet in die Hände von Jonah Smallwood – ihrem Schwarm aus der Grundschule. Doch statt sie auszulachen, hilft Jonah ihr, sich ihren Ängsten zu stellen. Gemeinsam arbeiten sie die Liste ab und kommen sich immer näher. Bis Esther erfährt, was Jonah getan hat. (© cbj Verlag)

Meine Meinung:

Das neue Buch von Krystal Sutherland ist eher spontan auf meiner Wunschliste gelandet, nachdem ich eines ihrer anderen Bücher gelesen und für gut befunden habe. Ohne grosses Vorwissen über das Buch und mit dementsprechend einer neutralen Erwartungshaltung, habe ich "Es muss ja nicht perfekt sein" schliesslich begonnen, das durch ein besonders ansprechendes und sommerliches Cover besticht.
Im Fokus der Geschichte steht Esther, deren gesamte Familie an schweren psychischen Störungen leidet. Die meisten davon sind Angststörungen. Was für viele andere Betroffene sehr belastend und eine Einschränkung in ihrem Leben darstellt, wird in Sutherlands Buch allerdings auf die Spitze getrieben. Esthers Vater leidet zum Beispiel an einer so starken Agoraphobie, dass er sich seit Jahren im Keller verschanzt und nur sporadisch Kontakt zu seiner Familie hat. Die Diagnose der Mutter konnte ich auf Anhieb nicht so ganz erfassen - sie wirkte aber tatsächlich so, als hätte sie nicht mehr alle Tassen im Schrank. (Anm.: Und das ist als Kritik an die Autorin, nicht am Charakter zu verstehen). Sie trägt beispielsweise ständig ein lebendiges Huhn mit sich herum und nimmt jeden Aberglauben, der existiert, beim Wort. Esther selbst ist in ihrer Familie wohl diejenige, die ihr Leben noch halbwegs im Griff hat - aber das nur, weil sie selbst davon ausgeht, ihre ganz spezifische Angst (die jeder in ihrer Familie hat) noch nicht entdeckt zu haben. Und da kommt ihr Kindheitsfreund Jonah Smallwood ins Spiel: Er bestiehlt Esther und findet dadurch eine Liste von Dingen, von denen sie womöglich eine spezifische Phobie haben könnte (ohne es bislang zu wissen). Statt Esther in ihrem quälenden Unwissen zu lassen, beschliesst er eine Art Expositionstherapie zu machen und arbeitet mit Esther gemeinsam die Liste durch, um so herauszufinden, wovor sie nun tatsächlich Angst haben könnte. Dabei kommt Esther nicht nur ihren Ängsten, sondern auch Jonah näher...

Was soll ich sagen? Die Story klingt nicht nur verrückt, sie ist es auch. Ich bin ein grosser Fan von Büchern, die sich mit psychischen Erkrankungen befassen und diese auf eine möglichst authentische Weise beschreiben, so dass auch Laien sich vorstellen können, wie belastend eine solche Krankheit sein kann. Hier fand ich die Darstellung von Angststörungen aber sehr übertrieben und damit auch eher unglaubhaft. So wie Esthers Familie geschildert wird, hätte (zumindest hier in der Schweiz) schon längst eine Erwachsenen- und Kinderschutzbehörde eingegriffen und die Familienverhältnisse genauer unter die Lupe genommen, um den entsprechenden Familienmitgliedern eine absolut notwendige Therapie zukommen lassen. Was mir hier nämlich gefehlt hat, ist der Umstand, dass sich Angststörungen in der Regel sehr gut therapieren lassen und sie sogar die grössten Erfolgschancen für eine Behandlung aufweisen. Im Buch wird zwar noch versucht, die übertriebene Darstellung der Angststörungen durch eine Art Mythos über einen "Familienfluch" zu erklären, aber das hat für mich das Ganze nicht viel glaubhafter gemacht.
Dadurch, dass die betroffenen Familienmitglieder untherapiert unter ihren Symptomen leiden, fand ich die gesamte Familiensituation sehr tragisch mit anzusehen. An einer Stelle geht Esther beispielsweise endlich mal in den Keller zu ihrem Vater herunter und man erfährt, dass dieser vor ein paar Jahren einen Schlaganfall hatte und nun halbseitig gelähmt ist.
Die ganze Zeit über habe ich mich gefragt, ob es denn niemanden gibt, der von diesen Vorkommnissen Wind bekommen hat und dieser Familie bei ihren Problemen helfen will - denn wie gesagt: Die Erfolgschancen, dass ihr Leidensdruck mit Hilfe von Therapie oder wenigstens Medikamenten gelindert oder ganz aus der Welt geschaffen werden kann, wäre sehr gross. Zumal die Ausprägungsgrade der jeweiligen Angsterkrankungen so überspitzt dargestellt wurden, dass ich nur den Kopf schütteln konnte.

Neben dem seltsamen Plot, ist auch der Schreibstil sehr gewöhnungsbedürftig. Er ist sehr umgangssprachlich und einfach gehalten, was der Geschichte nicht unbedingt zu mehr Ernsthaftigkeit verholfen hat - im Gegenteil.

Als ich bei der Hälfte des Buches angekommen war, habe ich es dann nicht mehr länger ausgehalten und musste das Buch abbrechen. Während Esthers Storyverlauf sehr vorhersehbar war, hätte es mich zwar interessiert, was mit ihren Eltern am Ende des Buches passieren würde, aber das allein hat nicht ausgereicht, um mich weiter durch das Buch zu quälen. Die Idee wäre sicher gut gewesen, aber die Darstellung der Angsterkrankungen war so dermassen übertrieben und unrealistisch beschrieben, dass ich nur noch genervt war. Entstigmatisierung funktioniert anders.

Fazit:

Ein Buch das sich mit dem Thema psychische Erkrankungen befasst, diese aber so überspitzt darstellt, dass es einfach unglaubhaft wirkt. Anders als im Buch dargestellt, lassen sich Angststörungen sehr gut behandeln und Betroffene sind nicht so verrückt, wie die Autorin es einem im Buch weissmachen will. Für mich leider eine grosse Enttäuschung. Der Storyverlauf und der Schreibstil haben mich irgendwann so genervt, dass ich das Buch schliesslich abbrechen musste. Eine Leseempfehlung kann ich dieses Mal leider nicht abgeben.

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2 Kommentare

  1. Hey Mel,

    das klingt nach einem ziemlich merkwürdigen Buch, das ich nicht lesen will. xD
    Ich lese momentan "Angelfall". In dem Buch ist die Mutter schizophren, auch schon die ganze Kindheit der Protagonistin über, und da habe ich mich auch wirklich gefragt, warum sie nicht einfach mal in Therapie gegangen ist und man ihr die Kinder gelassen hat (fairerweise muss man sagen, dass ich dem Buch zutraue, dass sie am Ene gar nicht schizophren ist, sondern wirklich mit Dämonen redet). Das ist aber anscheinend noch nichts gegen dieses Buch, das ziemlich abgedreht und unrealistisch klingt, und spätestens bei der Stelle mit dem Schlaganfall war ich ein bisschen fassungslos. Auf jeden Fall aber eine gut geschriebene und nachvollziehbar begründete Rezension von dir!

    Liebe Grüße
    Dana

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    Antworten
    1. Hallo Dana

      Ja, ich fand das Buch tatsächlich auch zu merkwürdig, als das ich ihm etwas hätte abgewinnen können :D "Angelfall" habe ich vor Jahren auch gelesen, damals war ich aber gerade in den Anfängen meines Psychologiestudiums, deshalb hat es mich vielleicht noch nicht so gestört, wie es heute der Fall ist :D Ich weiss aber gar nicht mehr, wie die Schizophrenie der Mutter genau dargestellt wurde, aber so wie du es beschreibst, klingt es wirklich etwas fragwürdig, wieso niemand eingeschritten ist.

      Liebe Grüsse

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