[Rezension] Mein Herz und andere schwarze Löcher

by - Februar 13, 2021

(© Argon)

Mein Herz und andere schwarze Löcher
von Jasmine Warga
Gelesen von  Inka Löwendorf

Bewertung: ★★★★☆

YA Contemporary, Audiobook 
Spieldauer:  7 Stunden und 17 Minuten
Erscheinungsdatum: 23. April 2015

Verlag: Argon Audio

Inhaltsangabe:
Wenn dein Herz sich anfühlt wie ein gähnendes schwarzes Loch, das alles verschlingt, welchen Sinn hat es dann noch, jeden Morgen aufzustehen? Aysel will nicht mehr leben – sie wartet nur noch auf den richtigen Zeitpunkt, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Als sie im Internet Roman kennenlernt, scheint er der perfekte Komplize für ihr Vorhaben zu sein. Doch während die beiden ihren gemeinsamen Tod planen, spürt Aysel plötzlich, wie sehr sich auf die Treffen mit Roman freut, wie hell und leicht ihr Herz sein kann. Und plötzlich ist der Gedanke, das alles könnte plötzlich ein Ende haben, vollkommen unerträglich. Aysel beginnt zu kämpfen. Um ihr Leben. Um sein Leben. Und um ihre gemeinsame Liebe.

Meine Meinung:

Dieses Buch ist mir seit dem Erscheinungstermin vor einigen Jahren immer wieder aufgefallen und als ich es vor kurzem auf Spotify als Hörbuch entdeckt habe, habe ich mich spontan dazu entschieden, mir die Geschichte anzuhören. Ich habe mich vorgängig gar nicht so richtig mit dem Inhalt des Buches auseinander gesetzt und war dann überrascht zu erfahren, worum es geht. An dieser Stelle ist eine Triggerwarnung angebracht, denn im Buch (und in der nachfolgenden Rezension) wird das Thema Suizid(alität) behandelt. 

Und damit wären wir auch direkt beim Einstieg in die Geschichte, die aus Sicht von Protagonistin Aysel erzählt wird. Man erfährt, dass Aysels Vater etwas Schlimmes angerichtet hat, wofür er im Gefängnis gelandet ist. Dieses Ereignis war für Aysel so prägend, dass sie seither (stellvertretend für ihren Vater) an Schuldgefühlen leidet und sie aufgrund ihres Leidensdrucks einen Suizidwunsch entwickelt hat. Auf ihrer Arbeit entdeckt sie bei einer Googlerecherche eines Tages eine Seite für "Suizidpartner:innen". Grob erklärt, kann man auf dieser Seite eine Kontaktanzeige schalten, um gemeinsam mit einem anderen Menschen aus dem Leben zu scheiden. Aysel wird sehr rasch fündig und lernt so den gleichaltrigen Teenager Roman kennen, der auch Suizid begehen will - ebenfalls aus Schuldgefühlen nach dem Tod eines Familienmitglieds. Gemeinsam vereinbaren die beiden einen Termin in nicht allzu langer Zukunft, an dem sie sich gemeinsam suizidieren wollen.

Ich muss gestehen, dass ich am Anfang etwas überrascht war, wie ungeschönt die Autorin mit dem Thema Suizid umgeht. Man wird relativ unvorbereitet mit der Thematik konfrontiert und erfährt sehr detailliert von Aysels Suizidplänen. Es ist auf der einen Seite zwar sehr lobenswert, wie ehrlich und direkt das Thema Suizid hier behandelt wird, auf der anderen Seite kann das Thema aber leider gerade dadurch sehr triggernd sein, vor allem wenn die Zielgruppe Jugendliche sind (von denen einige womöglich selbst an einer Depression leiden). Problematisch fand ich aus psychologischer Sicht, dass es zu Beginn ein bisschen so wirkt, als würden Aysels Ansichten zum Thema Suizid glorifiziert werden und es kann dadurch fälschlicherweise die Botschaft übermittelt werden, dass Suizid tatsächlich eine Lösung ist, um das eigene Leiden und die eigenen Schuldgefühle loszuwerden. Leider ging mir persönlich ein bisschen der Aspekt unter, dass Suizid endgültig ist, und es dadurch eben KEINE Lösung für Probeme darstellt. Vielmehr sollte man sich (professionelle) Hilfe holen, um einen Umgang mit den schwierigen Gefühlen, den Suizidgedanken, den Problemen oder ganz generell mit der depressiven Erkrankung zu finden. Doch das geht hier im Buch leider völlig unter.
Mir war klar (oder ich hatte es zumindest gehofft), dass es nicht die Intention der Autorin ist, Suizid zu glorifizieren und das Buch im weiteren Verlauf (hoffentlich) eine Richtung einnehmen wird, die Hoffnung vermittelt, aber bis zu diesem Punkt im Buch muss man es erst mal schaffen.

Der weitere Verlauf des Buches fokussiert sich auf die neue Freundschaft zwischen Aysel und Roman. Die beiden verbringen bis zu ihrem geplanten Todestag viel Zeit gemeinsam und dadurch erfährt man als Leser:in auch mehr über ihre jeweiligen Hintergrundgeschichten und was dazu geführt hat, dass sie gegenwärtig an einer Depression mit Suizidgedanken leiden. Die gemeinsamen Treffen sorgen dafür, dass etwas mehr Lockerheit und jugendliche Unbeschwertheit Einzug in die Geschichte hält und man kann beobachten, wie sich Aysel und Roman allmählich näher kommen.
Ich möchte nicht spoilern, aber ihr könnt euch denken, wie sich die Geschichte zwischen den beiden weiterentwickelt. Ich fand es zwar schön zu sehen, wie sich sie sich gegenseitig Halt geben und einander besser kennenlernen, aber gleichzeitig hatte das bei mir auch einen faden Beigeschmack, denn vor allem Aysel scheint es gut zu tun, Zeit mit Roman zu verbringen und nach und nach verschwinden ihre depressiven Gedanken und sie gewinnt an mehr Lebensfreude. Es kann zwar durchaus sein, dass eine neue Beziehung oder sich neu zu verlieben einen positiven Einfluss auf die eigene Stimmung haben kann, aber hier scheint es fast so, als müsste man sich einfach verlieben, und dann sind alle Probleme wie weggeblasen. Leider funktioniert das bei einer Depression in den meisten Fällen nicht einfach so, was bei mir die Vermutung aufkommen lässt, dass Aysel gar nicht an einer Depression gelitten hat, sondern sie eher in Selbstmitleid versunken ist und ihre Suizidpläne einen eher appellativen Charakter hatten und sie ernsthaft vor hatte, sich das Leben zu nehmen. Im Gegenzug dazu, sieht die Situation bei Roman dagegen ganz anders aus. Ich fand, dass es hier der Autorin sehr gut gelungen ist, eine depressive Symptomatik abzubilden und Romans Leidensdruck realitätsgetreu zum Ausdruck zu bringen. Das zeigt sich dann auch darin, dass er zwar auch Gefühle für Aysel entwickelt, dies aber nicht dazu führt, dass sich seine Stimmung radikal verbessert und er plötzlich von seinem Suizidplan abkommt. Und genau das zeigt auf, wie wichtig es ist, sich professionelle Hilfe zu holen, wenn man an Suizidgedanken und/oder einer depressiven Stimmung leidet. 

Alles in allem hat mich die Geschichte aber dennoch emotional berührt und mich gut unterhalten. Ich fand es wunderschön und auch tragisch, die beiden Jugendlichen mit ihrem Schmerz zu begleiten und fand es schön, dass sich der Autorin einem so wichtigen Thema in ihrem Buch widmet und es sich eben nicht um einen platten Young Adult Plot handelt, sondern die Story tatsächlich Tiefgang hat. Meine Kritikpunkte sind eher auf hohem Niveau und aus fachlicher Sicht einer Psychologin zu verstehen. Ich fand es nur schade, dass die Autorin den Aspekt von professioneller Hilfe bei Depressionen und Suizidgedanken nahezu völlig ausser Acht gelassen hat und beide Teenager mit ihrem Schmerz alleine gelassen wurden. Es wurde nur die Option Suizid oder kein Suizid thematisiert. Es gibt aber durchaus noch weitere Optionen, die hätten erwähnt werden sollen - und eine davon, die wissenschaftlich nachweisslich erfolgsversprechend ist, ist es sich psychiatrische oder psychotherapeutische Unterstützung zu holen.

Fazit:

"Mein Herz und andere schwarze Löcher" erzählt die Geschichte zweier Jugendlicher, die aufgrund eines jeweils tragischen Erlebnisses in ihrer Vergangenheit mit Suizidgedanken zu kämpfen haben. Die Autorin widmet sich damit einem sehr wichtigen, und auch emotional berührenden Thema. Aus fachlicher Sicht, hatte ich beim Hören manchmal die Befürchtung, dass die Botschaft falsch interpretiert werden könnte, sodass es an der einen oder anderen Stelle sicher etwas Verbesserungspotenzial gegeben hätte, um diese Missverständnisse zu vermeiden. Aber alles in allem hat mir das Buch gerade aufgrund der Thematik gut gefallen. Nur eines ist abschliessend wichtig zu erwähnen: Holt euch unbedingt professionelle Hilfe, wenn ihr unter Depressionen leidet! Denn das geht hier im Buch leider ein bisschen unter.

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8 Kommentare

  1. Hallo liebe Mel,

    das Buch hatte ich zuvor noch nicht wirklich im Blick. Ich finde die Thematik interessant.

    Ich kann verstehen, dass du den Lösungsansatz (einen Partner finden, sich verlieben), aus psychologischer Sicht, als zu einfach empfindest. Vielleicht mag das für eine Weile funktionieren. Wenn dann aber erste Beziehungsprobleme auftauchen, dann kann man - so meine laienhafte Ansicht - mit Sicherheit sehr schnell wieder in zu alten Denkmustern zurückfinden.

    Trotz kleiner Kritikpunkte hat die Autorin hier aber scheinbar einen Roman geschrieben, der aus verschiedenen Blickwinkeln heraus gut funktioniert und dich auch zu berühren wusste.

    Ich muss sagen, dass du mich mit deiner Vorstellung hier voll gekriegt hast. Das Buch kommt auf die Wunschliste :o)

    Liebe Grüße
    Tanja :o)

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    1. Ja, aus erzählerischer Sicht mochte ich die Geschichte wirklich sehr und auch das Thema war mal tiefsinniger, als ich es von vielen anderen YA Büchern gewohnt bin. Meine Kritik besteht wirklich hauptsächlich aus fachlicher Sicht. :) Ich bin schon gespannt, was du zu dem Buch sagen wirst!

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  2. Hey Mel,

    ich muss zugeben, ich finde deine Kritikpunkte absolut nachvollziehbar - ich finde das Thema Suizid gerade in Jugendbüchern immer ein bisschen schwierig, gerade weil es potenziell immer triggern könnte und zu oft untergeht, wie wichtig therapeutische Hilfe wäre. Und auch dieses Motiv, dass Liebe plötzlich psychische Erkrankungen leidet, ist leider relativ präsent. Von daher würde ich diese Kritik definitiv mit dir teilen, gelesen habe ich das Buch allerdings nicht.^^

    Liebe Grüße
    Dana

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    1. Also am allerschlimmsten fand ich bisher "13 Reasons Why", die Serie und das Buch musste ich sehr schnell abbrechen, weil es absolut fahrlässig ist, wie sehr Suizid darin glorifiziert wird. Das Buch bzw. die Serie sind auf so viele Arten problematisch, das hat mich richtig wütend gemacht. In meinem Weiterbildungsseminar meiner Psychotherapeutenweiterbildung zum Thema Suizid hat sich sogar die Dozentin negativ über die Serie geäussert und darauf hingewiesen, wie bedenklich und gefährlich die Botschaft darin ist. Und sie ist eine führende Expertin in einem Kriseninterventions- und Präventionsprogramm für Patient:innen nach einem Suizidversuch.

      Ich finde das Thema auch sehr schwierig. Es ist wichtig, darüber zu schreiben, damit Jugendliche sehen, dass sie damit nicht alleine sind, aber man muss dann sehr vorsichtig sein, wie man das Thema im Buch behandelt und dass es nicht nur dem Drama Effekt dient.

      Ich bin froh, dass meine Kritikpunkte für dich nachvollziehbar sind :)

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    2. "13 Reasons Why" habe ich mit 12-14 ziemlich gefeiert und erst viel später gemerkt, wie problematisch das Buch eigentlich ist - die Serie habe ich nie gesehen. Rückblickend betrachtet bin ich ein bisschen fassungslos, dass wir das sogar im Unterricht gelesen und null kritisch reflektiert haben ...

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    3. Das kann ich total nachvollziehen, und das zeigt wiederum auf, wieso das Buch so gefährlich ist, weil du mit 12-14 Jahren genau zur Zielgruppe gehört hast.

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  3. Hey liebe Mel

    Das Buch ist schon sehr lange auf meiner Wunschliste, Titel und Cover haben mich einfach neugierig gemacht, deshalb wollte ich mir deine Rezension natürlich unbedingt ansehen.

    Schade, dass das Buch nicht noch konkreter ist, wenn es um Warnungen /Hilfe/Anlaufstellen geht, aber ansonsten klingt das wirklich total überzeugend, was du schreibst, vielen Dank für die schöne Rezension, die zeigt wirklich gut, was man vom Buch erwarten kann.

    Alles Liebe
    Livia

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