[Rezension] Das Holländerhaus

by - Juni 05, 2021

(© Berlin Verlag)

Das Holländerhaus
von Ann Patchett

Bewertung: ★★★★☆

Historical Fiction, 400 Seiten
Erscheinungsdatum: 02. Juni 2020
Verlag: Berlin Verlag


Inhaltsangabe:
Eine Villa zu besitzen – für Cyril steht das für ein besseres Leben. Doch als er von seinem hart erarbeiteten, ersten kleinen Vermögen das hinreissende Holländerhaus kauft, zerbricht seine Welt: Seine Frau erträgt den Luxus nicht und geht. Ein Schock für die beiden Kinder, und Tochter Maeve muss die Mutterrolle für ihren jüngeren Bruder Dave übernehmen. Die Geschwister werden unzertrennlich und sind eigentlich glücklich – bis Cyril wieder heiratet. Die Neue hat zwei eigene kleine Mädchen, denen sie, ganz böse Stiefmutter, das Erbe sichern will, vor allem aber das Holländerhaus ...

Meine Meinung:

Dieses Buch habe ich für meine "4* Average Rating Challenge" gelesen, andernfalls hätte ich wahrscheinlich nicht dazu gegriffen, da mich das Cover leider so gar nicht angesprochen hat. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich gerade aufgrund des Covers eine ganz andere Geschichte erwartet hätte - vor allem eine Geschichte, die viel "historischer" ist und weiter in der Vergangenheit zurückliegt, als es beim Holländerhaus letztendlich der Fall gewesen ist. Rückblickend kann ich nachvollziehen, warum dieses Sujet für das Buchcover gewählt wurde, denn das Gemälde spielt eine wichtige Rolle in der Handlung. Es hätte aber dennoch optisch wahrscheinlich niemals mein Interesse auf sich gezogen, wenn ich das Buch in einer Buchhandlung entdeckt hätte. Und das ist schade, weil ich dadurch eine sehr interessante Geschichte verpasst hätte.
Obwohl es inzwischen eine deutsche Übersetzung gibt, habe ich das Holländerhaus im englischen Original gelesen. Der Grund lag schlichtweg am enormen Preisunterschied (der mich sehr stutzig gemacht hat.)

Die Handlung beginnt ungefähr in den 1950er Jahren, als Protagonist Dave noch im Kindesalter steckt und gemeinsam mit seiner älteren Schwester Maeve in einer Villa aufwächst, das fortan als das "Holländerhaus" bezeichnet wird. Das junge Familienleben wird jedoch sehr bald getrübt, als Daves und Maeves Mutter die Familie für immer verlässt und Cyril einige Zeit später erneut heiratet und dadurch eine Stiefmutter mitsamt Stiefgeschwistern in das Haus einzieht. Der Familiensegen hängt schliesslich komplett schief, nachdem Cyril überraschend verstirbt und die Stiefmutter Dave und Maeve aus dem Holländerhaus vertreibt. Eine Erfahrung, die die beiden Geschwister (noch) näher zusammenschweisst.

Dieser Teil entspricht eigentlich nur der Einführung in die Geschichte, denn die Handlung selbst bezieht sich gar nicht so sehr auf Daves Kindheit, sondern vielmehr auf die darauffolgenden Jahrzehnte, in denen seine enge Beziehung zu seiner Schwester Maeve näher beleuchtet wird und im Fokus steht. Es werden immer wieder verschiedene Stationen aus Daves Leben beschrieben - seine Ausbildung, seine Beziehung, seine Ehe und seine eigene Familie - die auch immer von Begegnungen mit seiner Schwester geprägt waren. Die beiden Geschwister verbindet ein besonderes Band, das noch enger geworden ist, nachdem ihre Stiefmutter sie im Stich gelassen hat und Maeve sich als ältere Schwester um ihren jüngeren Bruder kümmern musste. Leider teilt Daves spätere Ehefrau diese Verbundenheit mit Maeve nicht, sodass er immer wieder zwischen den Stühlen steht, wenn die beiden wichtigsten Frauen in seinem Leben aufeinander treffen und seine Loyalität infrage gestellt wird.

Überraschenderweise spielt das Holländerhaus an sich eher eine untergeordnete Rolle und wird erst im letzten Viertel des Buches wieder zum Thema gemacht, als viel Zeit vergangen ist und sich Maeve und Dave bereits im mittleren Alter befinden. Ich fand das nicht schlimm, aber etwas irreführend, denn der Titel, das Cover und die Inhaltsangabe hätten in meinen Augen einfach eine ganz andere Geschichte erwarten lassen. Stattdessen steht wirklich Maeves und Daves Geschwisterbeziehung mit all ihren Facetten im Vordergrund, das immer wieder getreu dem Motto folgt: "Blut ist dicker als Wasser".

Patchett hat wirklich einen einnehmen Schreibstil, mit dem sie die individuellen Charakterzüge der beschriebenen Personen im Buch wunderbar eingefangen hat. Die Handlung verläuft eher ruhig und unaufgeregt und konnte mich trotzdem gut unterhalten.

Der einzige Kritikpunkt, der bei mir bis zuletzt offen geblieben ist, ist das Bild der "bösen" Stiefmutter. Ihre Charakterisierung war mir viel zu stereotyp und zu wenig differenziert und hat mich fast schon an die klischeehafte "böse Stiefmutter" aus einem Märchen erinnert. Entgegen vielen Meinungen von anderen Leser:innen habe ich die Stiefmutter nicht gehasst, sondern fast schon Mitleid mit ihr empfunden, denn ich hatte nicht den Eindruck, dass sie durch und durch böse handelt, sondern von Dave und Maeve in diese Rolle getrieben wurde, weil sie ihre Ablehnung gespürt hat. Ich hätte mir gewünscht, dass die Motive der Stiefmutter näher beleuchtet worden wären, da ich ihre Handlung (und die Entscheidung, das Holländerhaus an sich zu reissen) ehrlich gesagt nicht ganz nachvollziehen konnte. Obwohl es viele Jahre später zu einer erneuten Begegnung mit der Stiefmutter kommt, war es dann aber zu spät für eine Klärung, sodass mir ihre Motive leider bis zuletzt ein Rätsel geblieben sind. Das erschien mir leider nicht ganz gelungen und eine verpasste Chance, die letztendlich auch zu einem Sternabzug geführt hat.

Der Schluss hielt dann aber doch eine Überraschung bereit, die ich so nicht erwartet hatte und mich emotional sehr berührt hat, nachdem mir die Charaktere über die Zeit sehr ans Herz gewachsen sind. Aus meiner Sicht ist es der Autorin sehr gut gelungen, dem Buch ein schönes, abgerundetes Ende zu schenken.

Fazit:

"Das Holländerhaus" stellt die Beziehung zweier Geschwister in den Fokus und beschreibt ein ganz besonderes, familiäres Band, das aufzeigt, dass Blut tatsächlich dicker als Wasser ist. Ich fand es schön, mal ein Buch zu lesen, dass sich nicht um eine Liebesgeschichte dreht, sondern die Familie in den Vordergrund stellt. Einzig die Charakterisierung der stereotypen "bösen Stiefmutter" war mir leider zu einseitig und wenig nachvollziehbar beschrieben. Ansonsten ein schönes Buch, indem man Protagonist Dave von seiner Kindheit bis ins mittlere Alter während verschiedenen Lebensstationen begleitet. Eine berührende, emotionale Geschichte, die 4 Sterne von mir bekommt.

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2 Kommentare

  1. Hallo liebe Mel,
    du hast die Rolle der Stiefmutter in deiner Rezension sehr interessant beleuchtet. Dass andere Leser die Stiefmutter gehasst haben, während du Mitleid mit ihr empfunden hast, zeigt schon, dass sie recht stereotyp dargestellt wurde und dass man aus ihrer Figur noch so viel mehr hätte herausholen können. Ich finde du hast hier einen sehr wertvollen Kritikpunkt hervorgearbeitet.

    Was das Cover angeht, so hätte es mich auf den ersten Blick auch nicht angesprochen. Der Klappentext hingegen hat mich sofort gekriegt. Er zeigt so viele Möglichkeiten auf und verspricht eine spannende und fesselnde Geschichte. Ich freue mich, dass diese dann auch gut umgesetzt wurde (lässt man mal den einen Kritikpunkt außer Acht).

    Eine sehr schöne Buchvorstellung von dir <3

    Ganz liebe Grüße
    Tanja :o)

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