Du wolltest es doch

by - August 19, 2018

(© Netgalley / Carlsen)

Du wolltest es doch*
von Louise O'Neill

Bewertung: ★★★★★

Realistic Fiction, 368 Seiten
Erscheinungsdatum: 25. Juli 2018
Verlag: Carlsen


*Rezensionsexemplar von Netgalley

Inhaltsangabe:
Nein, richtig sympathisch ist Emma nicht. Sie steht gern im Mittelpunkt, die Jungs reißen sich um sie und Emma genießt es. Bis sie nach einer Party zerschlagen und mit zerrissenem Kleid vor ihrem Haus aufwacht. Klar, sie ist auf der Party mit Paul ins Schlafzimmer gegangen. Hat Pillen eingeworfen. Die anderen Jungs kamen hinterher. Aber dann? Sie erinnert sich nicht, aber die gesamte Schule weiß es. Sie haben die Fotos gesehen. Ist Emma wirklich selber schuld? Was hat sie erwartet – Emma, die Schlampe in dem ultrakurzen Kleid? (© Netgalley / Carlsen)

Meine Meinung:

Von dem Buch hatte ich zuvor noch nie etwas gehört, aber der Titel hat mich neugierig gemacht. Nachdem ich in Erfahrung gebracht habe, dass das Thema „Victim Blaming“ behandelt wird, musste ich die Geschichte einfach lesen. Spätestens seit der #metoo Bewegung, die u.a. aus dem Harvey Weinstein Skandal in Hollywood resultiert ist, ist das Thema sexuelle Belästigung gegenüber Frauen und damit leider auch „Victim Blaming“ überall präsent. Was vorher unter den Teppich gekehrt wurde, wird nun in aller Öffentlichkeit diskutiert – und das ist aus meiner (feministischen) Sicht eine gute und wichtige Entwicklung.

„Victim Blaming“ bedeutet, dass die Schuld für eine Straftat dem Opfer zugeschrieben wird. In Fall von „Du wolltest es doch“ ist das die 19-jährige Protagonistin Emma, die nach einem Mix aus Alkohol und Drogen, von mehreren jungen Männern auf einer Party vergewaltigt wurde.
Was bei mir (und hoffentlich auch bei allen anderen Lesern) eine Mischung aus Schock, Empörung und auch Mitgefühl ausgelöst hat, löst im Emmas Umfeld fast nur Unverständnis aus. Statt Emma als Opfer zu schützen und zu unterstützen, wird sie mit Vorwürfen konfrontiert, in denen ihr vorgeworfen wird, dass sie selbst Schuld an der ganzen Sache ist. Als eine haltlose Begründung für diese Hypothese wird zum Beispiel der Umstand herangezogen, dass Emma ja gerne in knappen und aufreizenden Kleidchen herumstolziert ist und dies als Zeichen dafür gilt, dass sie diesen sexuellen Übergriff von mehreren Männern gewollt hat.
Das dieser Zusammenhang absolut lächerlich und haltlos ist, steht ausser Frage. Und dennoch passiert genau so etwas tagtäglich vielen anderen jungen Frauen auf der Welt. Die Konsequenz ist, dass sich gerade deshalb viele Opfer nicht trauen, den (oder die) Täter anzuzeigen, aus Furcht, dass ihr nicht geglaubt wird, weil es keine nachweisbaren Beweise dafür gibt, dass der sexuelle Akt nicht in gegenseitigem Einvernehmen passiert ist.
Leider passiert genau das auch Emma. Sie wird nicht nur auf brutale Weise vergewaltigt, sondern wird im Anschluss auch noch von fast allen ihren ehemaligen Freunden und Bekannten im Stich gelassen und als Lügnerin dargestellt.

Die erste Hälfte des Buches widmet sich vor allem der Charakterisierung von Emma. Und die fällt vermutlich absichtlich eher unsympathisch und oberflächlich aus, damit die Bewertung der Ereignisse aus Sicht des Lesers nicht nur aufgrund von Sympathien gegenüber der Protagonistin entsteht. Natürlich ist man über „Victim Blaming“ eher empört, wenn es sich um eine liebenswerte, unscheinbare und unschuldig wirkende junge Frau handelt. Und genau so ist Emma eben nicht. Damit will die Autorin verdeutlichen, dass KEINE EINZIGE FRAU auf dieser Welt selbst schuld an einer Vergewaltigung ist – egal ob sie nett und sympathisch oder unfreundlich und zickig ist. Und genau dieser Punkt möchte besonders positiv hervorheben, denn damit hat die Autorin einen wichtigen Punkt beim „Victim Blaming“ kritisch betont, ohne mit dem Finger darauf zu zeigen.

Die zweite Hälfte des Buches spielt ein Jahr nach der Vergewaltigung von Emma und befasst sich nicht nur mit den intrapsychischen Folgeschäden, sondern auch mit allen umgebungsrelevanten Folgen, die auch Emmas Familie betreffen. Es wird sehr schnell deutlich, wie schlecht es Emma seit den Ereignissen geht. Selbst ein Jahr später ist das Thema noch immer präsent. Emma wird tagtäglich mit bösartigen Nachrichten auf sozialen Netzwerken bombardiert und gibt sich inzwischen selbst Schuld an den Ereignissen. Ihre Familie stösst an ihre Grenzen und keiner weiss, wie sie Emma helfen soll. In ihrer Verzweiflung und Hilflosigkeit, übernehmen leider auch Emmas Eltern einige Meinungen aus der Öffentlichkeit, die für den Heilungsprozess ihrer Tochter kontraproduktiv sind und bei mir sehr viel Mitgefühl gegenüber Emma ausgelöst haben.
Emma schwankt zwischen der Entscheidung, ob sie Anklage gegen die jungen Männer erheben will, oder nicht. Dabei spielt weniger eine Rolle, wie sie sich entscheidet, sondern was sie zu ihrer Entscheidung bewegt. Und das mitzulesen, hat mir fast das Herz gebrochen.

Insgesamt hat mich das Buch wirklich sehr berührt. Ich hatte nur anfangs etwas Mühe mit dem umgangssprachlichen Schreibstil. Sobald ich mich aber darauf einlassen konnte, fand ich ihn sehr passend zur Geschichte gewählt, denn dadurch sind Emmas Erlebnisse noch etwas lebensnaher und authentischer geworden.

Fazit:

Eine unglaublich bewegende Geschichte, die mich sehr nachdenklich gestimmt hat und mir noch lange in Erinnerung bleiben wird. Ich fand das Ende und insbesondere das Nachwort der Autorin gut gewählt. Gerade dadurch wird mir das Buch noch lange in Erinnerung bleiben. Ein sehr wichtiges Thema, das von der Autorin glaubhaft umgesetzt wurde. Eine empfehlenswerte Lektüre, die aber nichts für zarte Gemüter ist und insbesondere für Menschen, die selbst ähnliche Erfahrungen gemacht haben, triggernd sein könnte.

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4 Kommentare

  1. Hallöchen!

    Um dieses Buch schleiche ich auch schon länger herum. Ich wusste gar nicht, dass es so quasi in zwei Teile aufgeteilt ist. Jetzt bin ich noch gespannter. Muss es mir also wirklich zulegen :)

    Hier noch meine Antwort zu deiner Frage auf meinem Blog: Der Titel bezieht sich auf die Haare der Erzählerin Mary. Denn sie sagt von sich selbst, dass ihre Haare die Farbe von Milch haben. Was genau es damit auf sich hat, muss du aber selbst nachlesen. Da will ich nicht zu viel verraten :)

    Liebe Grüße!

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    1. Hallo :)

      Ja, ich kann dir das Buch trotz der heftigen Thematik auf jeden Fall weiterempfehlen!

      Achsooo, alles klar :) Danke für den Hinweis. Dann muss ich mal schauen, ob ich mir das Buch selbst noch zulegen will :)

      Liebe Grüsse zurück!

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  2. Oje das Buch subbt bei mir noch. Ich muss es unbedingt bald lesen. Noch ein Rezensionsexemplar und dann muss ich noch einige Rezensionen verfassen... Ich hoffe ich finde bald die Zeit für dieses hochgelobte Werk.

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    1. Dann bin ich schon sehr gespannt auf deine Meinung zum Buch :)

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