Dear Martin

by - September 27, 2018

(© Rowohlt)

Dear Martin*
von Nic Stone

Bewertung: ★★★★☆

YA Contemporary, 253 Seiten
Erscheinungsdatum: 24. April 2018
Verlag: Rowohlt


*Rezensionsexemplar. Vielen Dank an den Rowohlt Verlag.

Inhaltsangabe:
Justyce McAllister ist einer der Besten seiner Klasse, Captain des Debattierclubs und Anwärter auf einen Studienplatz in Yale – doch all das interessiert den Polizisten, der Justyce die Handschellen umlegt, nur wenig. Der Grund für seine Verhaftung: Justyce ist schwarz. Und er lebt in den USA im Jahr 2017.
Mit Briefen an sein großes Vorbild Martin Luther King Jr. versucht Justyce, dem alltäglichen Rassismus etwas entgegenzusetzen. Und dann ist da noch Sarah-Jane, seine kluge, schöne — und weiße – Debattierpartnerin. Als jedoch sein bester Freund Manny erschossen wird, scheint es, als ob selbst Martin Luther King Jr. keine Antwort mehr für Justyce bereithält. (© Rowohlt)

Meine Meinung:

"Dear Martin" ist ein weiteres Buch, das sich mit dem aktuellen Zeitgeschehen in den USA befasst und dabei unangemessene Polizeigewalt von weissen Polizisten gegenüber afroamerikanischen Bürgern und damit auch das übergeordnete Thema Rassismus behandelt. Die Inhaltsbeschreibung erinnert sehr an das etwas bekanntere Werk der Autorin Angie Thomas, das wenige Monate vor der Originalausgabe von "Dear Martin" unter dem Titel "The Hate U Give" erschienen ist. Auch auf dem Buchdeckel prangt eine Leseempfehlung von Thomas, was nicht von ungefähr kommt, denn die beiden Bücher ähneln sich in ihrem Inhalt sehr stark, wobei mir "Dear Thomas" von der Art und Weise wie auf das Thema Rassismus eingegangen wird, besser gefallen hat.

Im Fokus des Buches steht der junge, afroamerikanische High School Schüler "Justyce", der eigentlich ein ganz normales Leben führt. Eines Tages begegnet er seiner Ex-Freundin, die betrunken neben ihrem Auto liegt und will ihr helfen. Die Situation wird von einem weissen Polizisten (mal wieder) falsch eingeschätzt. Statt einem Retter sieht der Polizist in Justyce eine Bedrohung und legt ihm Handschellen an.

Nach dieser Erfahrung begibt sich Justyce auf die Spuren von Martin Luther King und versucht dessen Sichtweise, die durch die aktuelle Rassismus-Problematik und Polizeigewalt wieder hochaktuell in den USA ist, besser zu verstehen. Er beginnt dafür Briefe an den verstorbenen Bürgerrechtler zu schreiben und seine eigenen Einstellungen und Gedanken über Rassendiskriminierung zu hinterfragen.

Was ich an dieser Stelle positiv hervorheben möchte, ist der Umstand, dass das Thema Rassismus nicht nur einseitig aus einer Perspektive (nämlich Weiss gegen Schwarz) thematisiert wird, sondern auch umgekehrt. Justyce beginnt im Laufe der Geschichte Gefühle gegenüber seiner Debattierpartnerin und guten Freundin SJ zu entwickeln, die weiss ist, was seine Mutter niemals tolerieren würde. Sie hat ihm stets die Überzeugung mit den Weg gegeben, dass er niemals eine weisse Frau nach Hause bringen soll.
Diese Feindseligkeit von Schwarzen gegenüber Weissen schockiert mich jedes Mal, denn bis vor kurzem war mir gar nicht so richtig bewusst, dass der Rassismus auch umgekehrt sehr stark präsent ist. Natürlich sind die Hintergründe für den Hass von Schwarzen gegenüber Weissen aufgrund der Geschichte und der erlebten Diskriminierung durch Weisse ganz andere als umgekehrt, aber dennoch finde ich es wichtig und richtig, dass (gerade afroamerikanische AutorInnen) auch diese Perspektive beleuchten und nicht verschweigen. Anders als bei "The Hate U Give" schafft Nic Stone das Thema aber realistisch und reflektiert darzustellen, und nicht so reisserisch wie in Angie Thomas' Buch.

Ungefähr in der Mitte des Buches passiert dann ein sehr dramatisches Ereignis, bei dem eine nahestehende Person aus Justyce Umfeld von einem weissen Polizisten erschossen wird. Dieses Schicksal steht exemplarisch dafür, was leider allzu oft in den USA passiert. Durch die dortige Waffenpolitik, die ich einfach immer wieder sehr kritisch und negativ hervorheben muss, gibt es ständig unschuldige Opfer, die für vermeintliche Täter gehalten werden. Das Hauptargument der Polizisten ist im Nachhinein fast jedes Mal, dass sie gedacht hätten, das Opfer würde eine Waffe bei sich tragen. Einerseits ist das aufgrund der extrem leichten Erhältlichkeit von Waffen sicher nicht ganz abwegig, andererseits entsteht diese Angst vor allem immer gegenüber afroamerikanischer Bürger, was wiederum mit tief verankertem Rassismus zusammenhängt.

Der Schlussteil behandelt nicht nur den Gerichtprozess, den einem mal wieder die Haare zu Berge stehen lässt, sondern auch Justyce Umgang mit der Situation nach diesem Vorfall. Dabei dreht sich alles um die Frage: Wird Justyce auch Justice - also zu Deutsch "Gerechtigkeit" erfahren?

Der Schreibstil im Buch ist sehr einfach und umgangssprachlich gehalten und lässt sich damit flüssig lesen. Die Erzählweise wechselt dabei von der 3. Person Singular, zu Dialogen in direkter Rede, bis hin zu den Briefen, die Justyce an Martin Luther King schreibt. Die Abwechslung fand ich sehr passend und lässt die Seiten nur so dahin fliegen. Trotzdem verhindert es gleichzeitig eine gewisse Ausführlichkeit der Geschehnisse, die der Geschichte etwas mehr Tiefgang verliehen hätten.

Fazit:

Ein weiteres, wichtiges Buch, das sich mit den Folgen der aktuellen Polizeigewalt und dem dahinterliegenden Rassismus von weissen Polizisten gegenüber afroamerikanischen Bürgern beschäftigt. Für Fans von "The Hate U Give" kann ich das Buch nur wärmstens empfehlen. Es kann gar nicht genug Bücher zu dem Thema geben und wer weiss - vielleicht wird damit ja irgendwann tatsächlich mal eine nachhaltige Veränderung in der gegenwärtigen Denkweise und Waffenpraxis der USA bewirkt. Ich würde es den Bürgern der USA, insbesondere den Familien unschuldiger Opfer von Polizeigewalt wirklich von Herzen wünschen. "Dear Martin" ist ein ehrliches, ungeschöntes Buch, das ein Schicksal von vielen aufzeigt und mir nicht zuletzt aufgrund der Thematik noch lange in Erinnerung bleiben wird.

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4 Kommentare

  1. Ich lese dieses Buch aktuell, ich glaube, ich habe auch nur noch ein oder maximal zwei Kapitel vor mir und finde diese Geschichte auch so wichtig! Es ist traurig, dass es heute immer noch so ist und teilweise immer wieder schlimmer wird und das es solche Bücher braucht, um die Menschen darauf aufmerkam zu machen.

    Gut, dass es generell Bücher wie Dear Martin gibt! Und noch viele mehr!

    Liebste Grüße
    Vivka

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    1. Ja, da stimme ich dir absolut zu. "Dear Martin" liest sich ja auch relativ schnell weg und trotzdem hinterlässt es einen bleibenden Eindruck. Hast du "The Hate U Give" auch schon gelesen? Wie fandest du es denn?

      LG

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  2. Ich mochte ja "The Hate U Give" tatsächlich sehr gern - einer der wenigen Hypes, die bei mir tatsächlich funktioniert haben -, aber auch "Dear Martin" möchte ich noch sehr gern lesen - eben weil Nic Stone an das Thema noch einmal anders herangeht. Gerade auch die Briefe sind für mich ein sehr interessantes Element. Aktuell erfahren Bücher über Rassismus ja wieder etwas wie eine Renaissance, woran man erkennt, wie wichtig das Thema eben immer noch ist. Zuletzt habe ich "Beale Street Blues" gelesen, das bereits vor 40 Jahren erschienen ist und doch aktueller kaum sein könnte.

    Danke für deine Rezension!

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    1. Hallo :)

      Oh, danke für den Tipp, das Buch werde ich mich gleich genauer anschauen. Ich finde es gut und wichtig, dass das Thema immer wieder in Büchern behandlet wird, wobei sich an der Situation vermutlich wenig ändern wird, solange jeder eine Waffe mit sich tragen kann.
      Bei "The Hate U Give" hat mich aber gestört, dass Gewalt gegenüber Weissen nicht nur gutgeheissen, sondern schon fast gefeiert wurde - ohne dies kritisch zu hinterfragen. In "Dear Martin" hat Justyces Mutter zwar auch eine Abneigung gegen Weisse, aber ihr Sohne hinterfragt diese Einstellung wenigstens.

      Danke für deinen Besuch :)

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