[Rezension] Platzspitzbaby
(© Netgalley / Wörterseh Verlag) |
Platzspitzbaby - Meine Mutter, ihre Drogen und ich*
von Michelle Halbheer
Bewertung: ★★★★☆
Biography, 208 SeitenErscheinungsdatum: 01. November 2013
Verlag: Wörterseh
*Rezensionsexemplar von Netgalley.
Inhaltsangabe:
Michelle Halbheers Mutter gehört der Platzspitz-Generation an; schwerst drogenabhängig vernachlässigte und gefährdete sie nicht nur sich selber, sondern auch ihr Kind. Michelle ist knapp zehn, als sich ihre Eltern scheiden lassen und sie in die Obhut ihrer heroin- und kokainabhängigen Mutter kommt. Die folgenden Jahre werden für das Mädchen derart bedrohlich, dass es nur knapp überlebt. Das Elend dringt, auch über den besorgten Vater, immer wieder nach draußen. Aber Behörden, Ärzte, Polizeibeamte und zufällig involvierte Erwachsene bleiben untätig. Als Michelle endlich über das Unfassbare spricht, ist sie bereits ein Teenager. Sie wird umplatziert. Doch der Neuanfang bei den Pflegeeltern gerät, im dort streng religiösen Umfeld, zu einer weiteren Katastrophe. Als Michelle mit sechzehn ihr Leben selbst in die Hand nimmt, weiß sie noch immer nicht, was Normalität bedeutet. Etwas anderes jedoch weiß sie ganz genau: dass sie niemals so enden will wie ihre Mutter. Mit großer Willensanstrengung setzte sie in den folgenden Jahren um, was viele andere Kinder aus Drogenfamilien leider nicht schaffen: Sie machte eine Ausbildung – und sie blieb suchtfrei. Mit ihrem Buch will Michelle allen »vergessenen Kindern«, die auch heute noch zu Tausenden in Suchtfamilien aufwachsen müssen, eine Stimme geben. Ihre. (© Netgalley / Wörterseh Verlag)
Meine Meinung:
"Platzspitzbaby" erzählt das Leben von Michelle Halbheer und wurde von der Journalistin Franziska K. Müller geschrieben. Das Buch ist bereits 2013 erschienen und erfuhr damals durch seinen tragischen Inhalt eine grosse Bekanntheit: Es geht um das Kind einer drogensüchtigen Mutter. Aktuell läuft eine gleichnamige Verfilmung des Buches im Kino, das die Erzählungen aber nicht 1:1 nacherzählt, aber lose auf Halbheers Erzählungen beruht. Und damit ist das Buch erneut in den Vordergrund gerückt und ich hatte endlich die Gelegenheit, es auch zu lesen.Auf sehr eindrückliche, tragische Weise erzählt Michelle Halbheer, wie es für sie war, mit einer Mutter aufzuwachsen, die Heroin und Kokain konsumierte und ihrer Erziehungs- und Fürsorgepflicht nicht nachkommen konnte.
Die Geschichte beginnt mit dem Kennenlernen von Michelles Eltern, als ihre Mutter zum damaligen Zeitpunkt als Tänzerin in einer Table Dance Bar in Zürich gearbeitet hatte. Ihr Vater wollte sie aus diesem Umfeld befreien und kurze Zeit später wurde ihr Glück durch die Geburt von Michelle gekrönt. Die darauffolgenden ersten Jahre hat Michelle noch positiv in Erinnerung, doch als sie ungefähr fünf Jahre alt war, musste sie zusehen, wie sich das Wesen ihrer Mutter allmählich veränderte. Erst, als sie Zuhause die Kanüle einer Spritze gefunden und sie ihrem Vater mit einem fragenden Blick vorgelegt hatte, erfuhr die ganze Familie, was sie im Stillen schon lange vermutet hatten: Michelles Mutter war wieder den Drogen verfallen.
Die darauffolgenden Jahre waren von der Sucht geprägt. Michelle musste nicht nur zusehen, wie sich ihre Mutter mit den Drogen allmählich zugrunde richtete, sie erlebte auch immer wieder physische und emotionale Gewalt, bis sich ihre Eltern irgendwann trennten. Eigentlich hatte sie geplant, bei ihrem Vater zu leben, doch ihre Mutter hatte Michelle mit Suizid gedroht, falls sie sich für ihren Vater entscheiden würde. Und so blieb Michelle nichts anderes übrig, als bei ihrer drogensüchtigen Mutter zu bleiben - denn trotz der Drogen, liebte sie ihre Mutter über alles.
Nachdem Michelle mit ihrer Mutter alleine gelassen wurde, folgten weitere Jahre der Gewalt, des Drogenkonsums und der Vernachlässigung. Obwohl Michelle verwahrlost und ungepflegt in der Schule erschien und auch die Polizei immer wieder für Einsätze bei den Halbheers Zuhause erscheinen musste, schien sich niemand wirklich für das Schicksal des Kindes einer Drogensüchtigen zu kümmern; geschweige denn, sie aus diesem toxischen Umfeld zu befreien. Etwas, das Michelle den Behörden heute noch vorwirft - berechtigterweise, wie ich finde.
Und genau das war auch die Botschaft, die Michelle Halbheer mit diesem Buch vermitteln will, denn es gab und gibt immer noch viele Kinder drogensüchtiger Eltern, die ein ähnliches Schicksal erleiden müssen, wie sie. Vernachlässigt von der eigenen Mutter, sich selbst überlassen und im Stich gelassen, von öffentlichen Behörden, die sich eigentlich um das Wohl von Kindern kümmern sollten. Obwohl das Elend auf dem Platzspitz als Drogenumschlagplatz öffentlich bekannt war, sprach niemand über die Kinder der Drogensüchtigen. Ein Fehler, der zukünftig vermieden werden soll. Michelle ist sich sicher, dass es ihr besser ergangen wäre, wenn sie damals fremd platziert worden wäre. Doch stattdessen wurde sie als Mittel dazu verwendet, dass ihre Mutter dank ihrer Tochter nicht völlig mit ihrem Drogenkonsum abstürzen würde. Eine Verantwortung, die kein Kind für ihre Eltern tragen sollte.
Das Buch schildert sehr eindrücklich einige Stationen aus Michelle Halbheers Leben. Da ich selbst im Suchtbereich tätig bin, kenne ich bisher eher die Seite der Betroffenen - den süchtigen Eltern. Ich fand es deshalb sehr interessant, die andere Perspektive kennenzulernen. Und die ist leider sehr tragisch und erschütternd. Man merkt beim Lesen, welche Spuren diese Erfahrungen auf die inzwischen erwachsene Michelle hinterlassen haben. Hinter ihren Worten stecken viele Vorwürfe und viel Schmerz, ihrer Mutter und den untätigen Behörden gegenüber. Vermutlich wird sie dies alles niemals ganz loslassen können.
Der Schreibstil der Ghostwriterin ist sehr simpel gehalten und hat mich nicht vollends überzeugt. Es werden zwar immer wieder eindrückliche Szenen aus Michelles Leben geschildert, aber zwischen diesen Szenen bzw. Kapiteln gibt es teilweise grössere Zeitsprünge, die dazu geführt haben, dass die Erzählung stellenweise eher oberflächlich bleibt. Ich hätte mir gewünscht, dass das Buch emotional etwas mehr in die Tiefe gehen würde. Vielleicht wäre es einer anderen Autorin (noch) besser gelungen, den Schmerz und die Gefühle von Michelle Halbheer in Worte zu verpacken.
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