[Rezension] Gefühle surfen

by - Juni 03, 2023

(© Klett-Cotta)

Gefühle surfen* Eine Reise zu dir selbst
von Veronika Stegmüller

Bewertung: ★★★★☆

Nonfiction, Self Help, 200 Seiten
Erscheinungsdatum: 20. August 2022
Verlag: Klett-Cotta


*Digitales Rezensionsexemplar von Netgalley. Danke an den Verlag.

Inhaltsangabe:
- Originell und funktional: Gefühle surfen als Metapher, die sich in der Therapie bewährt hat
- Übungen: Achtsamkeit, Selbstfürsorge und Selbstmitgefühl, Gespräch mit dem inneren Kritiker und erfolgreiches Verhandeln mit dem inneren Perfektionisten, Meditationen online

Wie wäre es, wenn wir unseren Gefühlen achtsam und gelassen begegnen könnten, statt uns von ihnen kontrollieren zu lassen oder sie unterdrücken zu wollen? Die Verhaltenstherapeutin Veronika Stegmüller hat einen Surfkurs für Gefühlswellen entwickelt, in dem sie zeigt, wie wir mit belastenden Gefühlen umgehen und alte Verhaltensmuster durchbrechen können.   

Das Buch beschreibt wirksame und beliebte Inhalte aus der Psychotherapie – v.a. aus der Verhaltens- und Schematherapie – zur Förderung von Lebenszufriedenheit und einem flexibleren und bewussteren Umgang mit sich selbst und anderen. Allein oder therapiebegleitend – dieses Buch kann Ihnen im Umgang mit Ihren Emotionen helfen, Ihren Selbstwert stärken und Ihnen die Lebendigkeit zurück ins Leben bringen.

Meine Meinung:

Bei diesem Buch handelt es sich um ein Selbsthifebuch, das sich mit der Emotionsregulation und -bewältigung beschäftigt und von einer ausgebildeten Psychotherapeutin als Autorin geschrieben wurde. Und letzteres merkt man dem Buch auch an, denn die Sprache und Erläuterungen wirken nicht nur sehr professionell, sie basieren auch tatsächlich auf gängigen Interventionen, die in der Psychotherapie ihre Anwendung finden. Und das hat direkt einen sehr positiven Eindruck bei mir hinterlassen, weil man merkt, dass Stegmüller auf ihre beruflichen Erfahrungen zurückgreifen kann und ihre Übungen praxiserprobt sind.

Das Buch selbst ist mit seinen 200 Seiten eher dünn, umfasst dabei aber eine ganze Bandbreite an Themen, die in Zusammenhang mit der Emotionsregulation stehen.
Zu Beginn wird einem psychoedukativ vermittelt, wofür Gefühle eigentlich gut sind und sie mit unterschiedlichen Techniken (allen vor an dem titelgebenden "Wellen Surfen") bewältigt werden können. In späteren Kapiteln folgen dann Erläuterungen und Übungen zum Thema Achtsamkeit, Selbstfürsorge und dem inneren Kritiker.
Aus meiner Praxiserfahrung kann ich bestätigen, dass das alles Themen sind, die mir in nahezu jeder Therapie früher oder später begegnen und viele der Interventionen wende ich dabei ebenfalls an, sodass Stegmüller mit ihrem Buch vermutlich bei vielen ins Schwarze treffen wird.

Das einzige, das ich dem Buch ankreiden würde, ist der Umstand, dass viele der Übungen sehr simpel erscheinen und auch ihr Sinn und Zweck beim Lesen einleuchtend klingen, aber in der Umsetzung ist vieles davon gar nicht so einfach, wie es den Anschein macht.
An einer Stelle im Buch schreibt sie zum Beispiel (frei erinnert), dass wir reflektieren sollen, welche Bedürfnisse in unserer Lebensgeschichte von unseren Bezugspersonen nicht erfüllt wurden, sodass sie nun in der Gegenwart dazu führen, dass wir manchmal Gefühle empfinden, die nicht situationsadäquat sind. Damit hat sie absolut recht, diesen biografischen "Rucksack" tragen wir sicherlich alle mit uns, aber das klingt in wenigen Sätzen so einfach, setzt meiner Meinung nach aber eine riesige Reflexionsfähigkeit, sowie auch eine gute Expertise im Wahrnehmen und Einordnen von Gefühlen voraus, die erfahrungsgemäss sehr viele Menschen nicht (ohne eine längere Therapie) besitzen. Das, was hier als einfache "Denkübung" beschrieben wird, setzt in der Realität oftmals Therapiesitzungen über mehrere Monate (und bei schwierigen biografischen Erlebnissen sogar mehrere Jahre) voraus.
Auch beim inneren Kritiker ist es so, dass viele meine Patient:innen das Konzept relativ rasch verstehen und auch bestätigen können, dass sie mit sich selbst sehr streng/abwertend/kritisch umgehen, aber ganz oft braucht es viel Zeit und Geduld, dieses Muster zu verändern, was im Buch meiner Meinung nach etwas zu vereinfacht dargestellt wird.
Man muss Stegmüller aber zugutehalten, dass sie an mehreren Stellen darauf hinweist, wie wichtig auch professionelle Unterstützung ist - sodass sie sich meiner Kritik sicher auch bewusst ist.

Abschliessend lässt sich sagen, dass für mich als Fachperson nichts Neues dabei war, allerdings bin ich auch nicht Zielgruppe des Buches, sodass ich es vor allem an Leser:innen empfehlen kann, die ihre Emotionsregulation und den Umgang mit sich selbst (bestehend aus Achtsamkeit, Selbstfürsorge und Selbstmitgefühl) verbessern möchten.

Fazit:

Es handelt sich hierbei um ein empfehlenswertes "Selbsthilfebuch" zum Umgang mit Emotionen, das viele hilfreiche Informationen und Übungen enthält, die ich in meiner therapeutischen Praxis ebenfalls anwende. Manchmal klingen die Übungen nur etwas zu vereinfacht, und sie setzen meiner Meinung nach eine grosse Reflexionsfähigkeit und eine sehr gute Emotionswahrnehmung voraus, die viele erst durch professionelle Hilfe erreichen. Deshalb würde ich das Buch wahrscheinlich eher als Begleitung zu einer Therapie oder Beratung empfehlen.

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8 Kommentare

  1. Hallo liebe Mel,

    ich finde es sehr spannend zu lesen, wie eine Fachfrau so ein Buch einordnet.

    Ich finde diese Art von Büchern sehr wichtig. Nicht jeder hat den Mut sich einen Therapeuten zu suchen. Und doch glaube ich, dass die meisten Menschen in ihrem Leben irgendwann einmal an eine Grenze gelangen, an der der ein oder andere Ratschlag helfen kann, wieder ins Gleichgewicht zu kommen oder aber zumindest die negativen Emotionen in den Griff zu bekommen.

    Ich selbst habe auch schon das ein oder andere Buch zum Thema Achtsamkeit gelesen. Viele Tipps und Tricks erschienen mir logisch und viele hätte man sich vermutlich selbst auch erschließen können. Aber manchmal braucht es eben so ein Buch, das diese Gedanken/Aufgaben noch einmal direkt vor Augen führt und einen motiviert sie dann auch umzusetzen.

    Ich verstehe deinen Kritikpunkt. Sicherlich ist dieses Buch aber auch ein guter Schritt in die richtige Richtung, wenn man eben gerade Hilfe benötigt.

    Vielen Dank für diesen interessanten Einblick. Das Buch wäre mir vermutlich durchgerutscht. Nicht nur, weil ich es bislang auch noch nirgends gesehen habe, sondern auch, weil ich das Cover jetzt nicht gerade so ansprechend finde. Leider muss ich sagen, dass ich in dieser Hinsicht oft ein wenig oberflächlich reagiere. Spricht mich ein Cover an, dann nehme ich das Buch oft zur Hand und beschäftige mich mit Klappentext & Co. Spricht mich das Cover nicht an, dann gehe ich oft auch einfach an so einem Buch vorbei.

    Das wäre in diesem Fall vielleicht ein Fehler gewesen.

    Ganz liebe Grüße
    Tanja :o)

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    1. Ja, ich finde solche Bücher auch toll und wichtig - sei es als Ergänzung zur Therapie, oder auch ganz ohne Therapie.

      Zum Thema Achtsamkeit habe ich auch schon einige Bücher gelesen. :)

      Dass du das Buch übersehen hättest, kann ich absolut nachvollziehen. Wäre ich nicht selbst im therapeutischen Kontext tätig, hätte ich es wahrscheinlich auch übergangen *hust* :D. Das Cover ist tatsächlich nicht so richtig ansprechend.

      lg Mel

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  2. Schönen guten Morgen!

    Ich bin bei solchen Büchern ja immer sehr vorsichtig, weil es einfach so viele gibt, die überhaupt nicht auf meiner Wellenlänge sind (und mir dann auch nicht weiterhelfen) oder bei denen nicht viel neues für mich drinsteht. Allerdings muss ich auch zugeben dass ich schon sehr lange keines mehr gelesen hab :)
    Dass die Tipps teilweise zu "einfach" erscheinen glaube ich gerne. Mit sich selbst zu arbeiten bedeutet viel Mühe und Zeit, aber es lohnt sich.

    Allerdings hab ich letztens "Jetzt" gelesen von Eckhart Tolle und ich muss sagen, dass das für mich eine Quelle der Erlösung war *lach* ich kann es echt nicht anders ausdrücken.
    Er hat einen ebenfalls eigentlich recht "einfachen" Ansatz, der in der Umsetzung für viele sicher extrem schwierig ist. Mir ist es leicht gefallen und hat mir gleich eine ganze Last an Problemen abgenommen, was eine große Befreiung war. Ich hätte da im einzelnen aber auch gerne etwas mehr gewusst, bzw. Fragen gestellt, weil manches eben doch nicht so einfach umgesetzt werden kann.
    Und natürlich muss ich weiter daran arbeiten, aber der Grundstein ist gelegt und macht mein Leben um so vieles einfacher. Aufmerksamkeit, Verbundenheit und Gelassenheit, das sind die Schlagworte sozusagen, die ich aus seinem Buch mitgenommen hab :)

    Liebste Grüße, Aleshanee

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    1. Liebe Aleshanee

      Das geht mir ganz genauso. Ich habe gemerkt, dass mir Bücher von Fachpersonen, die einen wissenschaftlichen Hintergrund haben viel mehr liegen, als Bücher von selbsternannten Gurus, die einfach irgendetwas erzählen. Deshalb war mir dieses Buch hier auch so sympathisch.

      Danke für den Buchtipp, ich bin ja immer auf der Suche nach Empfehlungen für Selbsthilfebücher, die hilfreich sind, weil ich solche Bücher dann auch gerne meinen Patient:innen weiterempfehle. Ich schaue mir "Jetzt" sehr gern mal genauer an. Ich finde es toll, dass es bei dir so viel bewirkt hat! Das klingt vielversprechend! :)

      Liebe Grüsse
      Melanie

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    2. Ich bin da tatsächlich auch bei "'Fachpersonen" kritisch ;) Ich bin halt überhaupt kritisch was das Thema anbelangt, weil es so breit gefächert ist und schwer auf den Punkt zu bekommen...
      Eckhart Tolle ist in seinen Ansichten fast schon etwas radikal und sicher nicht für jeden in jeder Situation einfach zu handhaben. Aber ich denke, dass hier schon eine sehr wichtige Wahrheit drinsteckt, die einfach nur guttut.
      Mich hat sie direkt angesprochen weil vieles, was er in seinem Buch geschrieben hat, genau mein Bauchgefühl trifft. Manches ist zwar schon zu hinterfragen, aber ich bin auch nicht so, dass ich alles und jedes Wort auf die Goldwaage lege, sondern das für mich mitnehme, was ich brauchen kann oder mir eben weiterhilft.

      Seit Jahren hört man ja von "Achtsamkeit", aber so wirklich beschäftigt hatte ich mich damit noch nicht. Natürlich verbindet man damit etwas, aber das Buch hat mir gezeigt, was ich tatsächlich damit anfangen kann. Achtsam sein für den Moment, eben das jetzt, die Gegenwart, ich denke, das ist wirklich wichtig und rückt viele Probleme zur Seite, die eigentlich gar nicht da sind ;)

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    3. Also kritisch sein finde ich diesem Fall gut. Ich wollte damit auch nicht ausdrücken, dass jedes Buch einer Fachperson gut ist, aber meiner Erfahrung nach waren die Bücher, die ich von Fachpersonen gelesen habe, besser, als solche, von selbsternannten "Gurus", die einfach viel schreiben, ohne wirklich etwas auszusagen. :D

      Achtsamkeit ist mir tatsächlich im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit schon lange ein Begriff - schön, dass du durch das Buch auch zu dem Thema gefunden hast. :)

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    4. Über Achtsamkeit hat man ja in den letzten Jahren schon viel gehört, aber ich hab mich nie damit beschäftigt. Weil ich auch gar nicht wusste, was genau damit gemeint ist. Bzw was ich alles damit machen kann, und wie sehr es die Sichtweise verändern kann.
      Ich war ja eigentlich gerade dabei, eine Therapie anzufangen - die brauche ich jetzt nicht mehr :) Ich muss natürlich weiter an mir arbeiten, das muss man ja immer, aber ich hab den für mich richtigen Weg gefunden denke ich.

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    5. Oh, das freut mich sehr für dich. Dann muss ich mir das Buch wirklich mal genauer anschauen. :))

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