[Rezension] Rote Karte für den inneren Kritiker

by - August 03, 2020

(© Kösel)

Rote Karte für den inneren Kritiker* Wie aus dem ewigen Miesmacher ein Verbündeter wird
von Jochen Peichl

Bewertung: ★★★☆☆

Self Help, 144 Seiten
Erscheinungsdatum: 28. Juli 2014
Verlag: Kösel


*Rezensionsexemplar. Vielen Dank an den Kösel Verlag.

Inhaltsangabe:
Innere Kritiker, Fehlerzähler und andere Quälgeister sind oft anstrengend und machen uns das Leben schwer. Jochen Peichl zeigt mit vielen Beispielen, wie wir sie in die Schranken weisen und gleichzeitig ihre Stärken kennen- und nutzen lernen. Der Test »Ihre inneren Kritiker« hilft zudem, lästige Miesmacher in konstruktive und hilfreiche Selbstanteile zu verwandeln.

Meine Meinung:

Dieses Buch hat mich nicht nur aus beruflichen, sondern auch als persönlichen Gründen angesprochen. Ich denke jede*r kennt diese Momente, in denen die innere selbstkritische Stimme in Erscheinung tritt und uns verunsichert. In der Psychotherapie wird diese Stimme oft als "Der innere Kritiker" bezeichnet, um sie fassbarer zu machen. Der innere Kritiker ist ein Anteil, der jeder Mensch von uns in mehr oder weniger ausgeprägter Form in sich trägt. Er hat nicht nur schlechte Seiten, sondern übernimmt auch eine Art Schutzfunktion oder kann unseren Ehrgeiz fördern. Problematisch wird es aber, wenn diese Stimme permanent da ist und uns abwertet, so dass wir im schlimmsten Fall unter ständigen Selbstzweifeln leiden, die natürlich wiederum mit einer schlechten Stimmung oder anderen psychischen Problemen einhergehen kann - den wer will schon ständig niedergemacht werden?

Jochen Peichl ist selbst ein ausgebildeter Facharzt für Psychotherapie und hat dieses Buch in erster Linie für Laien geschrieben, die sich mit ihrem inneren Kritiker auseinandersetzen wollen. Dabei stellt er nicht nur den einen inneren Kritiker vor, sondern gleich ein ganzes Team, das aus dem Kontrolleur, dem Perfektionisten, dem Antreiber, dem es Allen-Rechtmacher und dem Be- und Verurteiler besteht. Um herauszufinden, welche "Teammitglieder" bei einem selbst am aktivsten sind, kann man gleich zu Beginn einen Fragebogen ausfüllen, der sich am Ende des Buches befindet. Am Ende erhält man unterschiedliche hohe Punktzahlen, wobei es der Autor leider versäumt hat zu erläutern, was diese Punktzahlen nun genau zu bedeuten haben. Ich hatte überall eine Punktzahl von 41 bis 67 erreicht und wusste am Ende leider nicht genau, was ich damit nun anfangen soll.

Was nach der Einführung der verschiedenen Kritiker-Anteile folgt, sind Kapitel, die der Autor "Privatvorlesungen" nennt. Wer nun fürchtet, dass Peichl mit Fachjargon um sich wirft, den kann ich beruhigen. Es ist ihm tatsächlich gelungen, eine für Laien verständliche Einführung in das Thema der inneren Anteile zu geben, die in der Psychotherapie auch als "Ego States" bekannt sind und eine eigene Therapierichtung darstellen. Der Autor untermalt seine theoretischen Inputs jeweils mit Beispielen und einzelnen Illustrationen, was dafür sorgt, dass der Text abwechslungsreich und nicht allzu trocken wirkt. Neben dem Kritiker-Team führt er auch der Anteil des inneren verletzten Kindes ein, das oftmals eng mit dem inneren Kritiker zusammenhängt. Damit hat er einige wichtige Aspekte implementiert, die auch in der Psychotherapie verwendet werden.

Obwohl sich das Buch sehr verständlich und nachvollziehbar liest, hatte ich den Eindruck, dass viele der im Buch vorgestellten Übungen aus meiner Sicht eine grosse Reflexionsfähigkeit voraussetzen. Aus meiner praktischen Erfahrung weiss ich, dass es nicht so einfach ist, die verschiedenen Anteile einfach mal so zu identifizieren, sowie sie in einen biografischen Kontext zu setzen, um dann ihre ursprüngliche Funktion zu verstehen. Das setzt meiner Meinung nach oftmals eine längere Therapie voraus, die durch eine*n erfahrene*n Therapeut*in begleitet wird, der*die einem bei dieser schwierigen Aufgabe hilft. Die Übungen klingen auf den ersten Blick sehr simpel, aber allein schon die zweite Übung fand ich selbst für mich, als Psychotherapeutin in Ausbildung, die mehrere Selbsterfahrungsstunden hinter sich hat, zu anspruchsvoll, um sie mal eben einfach so durchzuführen. Der Autor bittet uns Leser*innen nämlich darum, eine Landkarte mit all unseren inneren Anteilen - insbesondere natürlich den inneren Kritikern - zu zeichnen und ihnen Namen zu geben. Ich denke, um das zu schaffen, muss man bereits Erfahrungen in der Ego-State Therapie mitbringen und seine inneren Anteile bereits kennen. Als kompletter Neuling in der Thematik, kann man sich schnell einmal verloren fühlen. Gerade weil man ja nicht mal weiss, welche möglichen inneren Anteile es überhaupt gibt.

Und das ist auch mein Hauptkritikpunkt am Buch. So flüssig und verständlich es sich auch lesen lässt, ich würde dieses Buch bloss Leuten empfehlen, die bereits Vorwissen in der Arbeit mit ihren inneren Anteilen mit sich bringen. Das Buch ist eine nette Ergänzung zur Therapie, aber als alleinstehendes Werk finde ich die Durchführung der Übungen zu komplex, selbst wenn sie sich auf den ersten Blick sehr leicht anhören.

Ein letzter Kritikpunkt gilt auch dem Aspekt des Untertitels "Wie aus dem ewigen Miesmacher ein Verbündeter wird". Er suggeriert, dass das Buch einem Lösungsansätze bietet, wie man seinen inneren Kritiker zu einem Freund machen kann. Tatsächlich besteht 90% des Buches aber eher auf theoretischen Grundlagen zu den Hintergründen des inneren Kritikers und lediglich das letzte Kapitel fasst kurz und knapp eine Intervention zusammen, wie man dem inneren Kritiker imaginativ begegnen könnte, um ihn zu einem Verbündeten zu machen. Damit kam mir dieser lösungsorientierte Teil definitiv zu kurz, zumal der Autor dazu sehr vereinfacht eine Technik aus der Traumatherapie erläutert, die sich IRRT nennt und in meinen Augen für unerfahrene Laien zu komplex ist, um sie allein mit der eigenen Vorstellungskraft durchzuführen, ohne dass dies zuvor von einem*einer Therapeut*in angeleitet wurde.

Fazit:

In "Rote Karte für den inneren Kritiker" befasst sich der ausgebildete Psychiater Jochen Peichl mit dem inneren Kritiker, den jeder Mensch in mehr oder weniger ausgeprägter Form in sich trägt. Er führt uns auf verständliche Weise in die theoretischen Grundlagen der Arbeit mit inneren Anteile ein (die in der Fachsprache auch als Ego-States Therapie bekannt ist) und ergänzt seine Texte mit nachvollziehbaren Beispielen. Obwohl sich das Buch für Laien sehr verständlich liest, würde ich das es allerdings nur Leuten empfehlen, die bereits Vorwissen in der Ego-States Therapie mit sich bringen. Die im Buch vorgestellten Übungen setzen schon eine sehr hohe Reflexionsfähigkeit voraus, für die aus meiner Sicht oftmals eine Therapie notwendig ist, um diese Teile überhaupt identifizieren zu können. Das Buch ist als Ergänzung zur Psychotherapie empfehlenswert, für absolute Neulinge aus meiner Sicht aber eher ungeeignet, weshalb ich es auch nicht unbedingt als "Selbsthilfebuch" betiteln würde. Aufgrund dieser Kritikpunkte kann ich abschliessend nur 3 Sterne vergeben.

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8 Kommentare

  1. Oh hey, Psychotherapeutin in Ausbildungs-Kollegin! Das wusste ich gar nicht, aber ich mach dasselbe wie du :D Machst du Verhaltenstherapie oder ein anderes Verfahren? Wie weit bist du denn?

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    1. Oh, das wusste ich auch nicht. Irgendwie bist du schon die 3. oder 4. Buchbloggerin, die ich kennenlerne und Psychologin ist :D

      Ich habe meine Weiterbildung diesen Sommer beendet und muss nur noch die Zertifizierungsprüfung machen. Wegen Corona kann ich sie aber erst im Frühjahr machen. Ich habe eine methodenintegrative Ausbildung gemacht, aber eigentlich war sie schon sehr Verhaltenstherapie-orientiert :D Was machst du denn für eine Ausbildung und wie weit bist du? :)

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    2. Ah, verstehe. Das klingt ein bisschen anders, als ich es kenne, aber das wird daran liegen, dass du das vermutlich in der Schweiz gemacht hast, oder? Ich mache die Weiterbildung in Verhaltenstherapie und bin recht weit. Die meisten Bausteine der WB (Selbsterfahrung, Theorie, Psychiatriejahr etc.- keine Ahnung, war deine WB auch so aufgebaut?) hab ich fertig, jetzt fehlen mir noch einige der ambulanten Therapiestunden, die ich nachweisen muss. Und die schleppen sich so dahin, damit werde ich also schon noch eine Weile beschäftigt sein...
      Aber cool, dass bei dir dann schon alles auf Ende ausgerichtet ist! Und zugleich echt blöd, dass du wegen Corona noch mit der Prüfung warten musst. Weißt du denn schon, wie es danach für dich weitergeht?

      Übrigens habe ich in diesem Bloggeruniversum hier auch schon die ein oder andere Psychologin kennengelernt. Scheint irgendwie ein Psycho-Ding zu sein :D

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    3. Ja, dieselben Bausteine (Selbsterfahrung, Supervision, Theorie und eine bestimmte Anzahl klinisches Praxisstunden) musste ich auch machen. Die habe ich alle erfüllt. :) Ambulante Therapiestunden müssen wir aber nicht nachweisen können. Fehlen dir denn nur noch diese Stunden?

      Ich wollte eigentlich für vier Monate in die USA und meine Prüfung Anfang 2021 machen und mir dann eine neue Stelle suchen. Jetzt kann ich aber nicht verreisen und hab eine neue Stelle im ambulanten Bereich gefunden bis Ende Jahr. :) Bisher habe ich teilstationär und ambulant im Suchtbereich gearbeitet. Und wo arbeitest du im Moment?

      Ja, schon lustig, wie viele von "uns" sich hier tummeln :D

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    4. Ich komme eher aus dem neuropsychologischen Bereich, bin also eher in neurologischen Kliniken tätig. Aktuell mache ich aber tatsächlich fast ausschließlich die ambulanten Therapiestunden, denn davon muss ich 600 nachweisen und da bin ich eine ganze Weile mit beschäftigt :D Weil ich keine Lust habe, das jahrelang mit mir herumzuschleppen und damit einfach nicht fertig zu werden, muss ich das jetzt mal ein paar Monate kompakt durchziehen, um ein Ende der 600 Stunden in Sicht zu kriegen :) Das liegt auch daran, dass ich eben wirklich alle anderen Teile der Weiterbildung fertig habe - also ja, mir fehlen nur noch diese Stunden. Was danach kommt - keine Ahnung.

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    5. Ah okay, dann machst du auch viele neurologische Abklärungen? Ist bestimmt auch ein spannendes Feld. Ja, 600 Stunden klingen nach viel. Musst du denn das neben deinem regulären Job machen? Ich hab's mal auf meine ambulanten Patient*innen ausgerechnet und da müsste ich bei einem Vollpensum 7-8 Patienten am Tag sehen. Aber weil ich auch nur 20% ambulant gearbeitet habe, hätte das bei mir sicher auch ewig gedauert. Bei uns muss man "nur" einpaarhundert Stunden klinische Praxis nachweisen können, aber nicht spezifisch ambulant.

      Ich drücke dir aber die Daumen für den Endspurt! Ich wollte meine Prüfung ja eigentlich im März machen, weil ich dachte, dass ich im September im Ausland bin. Jetzt konnte ich nicht fliegen, verschiebe meine Reise und kann die Prüfung vielleicht erst im Mai machen, obwohl ich alle Bedingungen erfüllt hätte. Die wollten keine Ausnahme machen und mich noch für die Prüfung im September zulassen, weil ich den Anmeldetermin knapp verpasst hatte. :/ Jetzt muss ich eigentlich auch nur warten, bis ich zur Prüfung kann, um meinen Fachtitel zu bekommen.

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  2. Hallo liebe Mel,
    ich muss sagen, dass ich zum Anfang dachte: Das hört sich aber richtig gut an! Bei Lesen deiner Worte erschien es mir logisch, dass selbstkritische Menschen oft auch etwas düsterer daherkommen.
    Ich finde auch den Ansatz, den der Autor hier hat sehr interessant. Also wie man den inneren Kritiker für sich arbeiten lassen kann.
    Sehr schade finde ich, dass dieses Buch, was ja vermutlich auch eher von Laien gekauft werden wird, dann letztlich doch nicht so praxistauglich ist.
    Auch kann ich verstehen, dass dir schon gewünscht hättest nach dem erfolgreich ausgefüllten Test eine dementsprechende Auflösung zu erhalten.

    Ich danke dir für diese interessante Buchvorstellung und für die sehr lesenswerte Rezension dazu <3

    Ganz liebe Grüße
    Tanja

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